Tal der Tausend Nebel
monatliches Unwohlsein hatte, war ihre Mutter in diesen Dingen noch strenger geworden.
»Es ist eine Gnade Gottes, dass der Hai dich nicht unfruchtbar gemacht hat. Aber es ist auch eine Verantwortung! Denk immer daran, deine Fruchtbarkeit gehört deinem zukünftigen Ehemann!«
Elisa musste im Wasser kichern. Wenn ihre Mutter auch nur ahnen würde, dass ihre Tochter sich in den Nächten regelmäßig mit dem jungen Hawaiianer traf, würde ihr das Herz stillstehen. Elisa lächelte, als sie ihre Hände sanft über die Narbe auf ihrem Oberschenkel gleiten ließ. Wie wenig ihre Mutter doch über die neue Elisa wusste. Ihre Gedanken und Gefühle drehten sich die meiste Zeit um Dinge, die so verboten waren, dass Elisa sich sogar hüten musste, sie jemals in ihr Skizzenbuch zu schreiben. Sie steuerte ihr vergnügtes Treiben im Wasser zurück zum Beckenrand. Sie würde sich beeilen müssen. Mehr als ein paar Minuten durfte sie nicht zum Wasserfall, wenn sie keinen Ärger wollte.
Sie begann, aus dem Becken zu steigen.
»Elisa?«
Als sie ihn sah, erstarrte sie mitten in der Bewegung. Kelii saß nicht weit von ihr auf einem Baum. Er lächelte. Nein, es war mehr noch als ein Lächeln, er grinste zu ihr rüber. Dann erhob er seine Stimme, um den rauschenden Wasserfall zu übertönen.
»Guten Morgen! Es freut mich, dich an diesem schönen Ort zu sehen. Was für ein Zufall, dass wir uns hier treffen! Was für einen Satz hätte Goethe wohl dazu gedichtet?«
Er räusperte sich, bevor er begann, seine Goethe-Hausaufgaben zu rezitieren, die sie ihm erst gestern aufgegeben hatte.
Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;
Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.
»Weiter kann ich deinen Goethe noch nicht. Aber wie ist meine Aussprache?«
Sein Deutsch war fast ganz ohne Akzent, worauf Elisa natürlich hätte stolz sein können. Aber alles, was sie in diesem Moment empfand, war Panik und Scham, weil er sie splitternackt sah. Doch ihn schien ihr Anblick eher zu belustigen. Sein Grinsen wurde noch breiter, während sie versuchte, ihre Blöße vor ihm mit ihren nassen langen Haaren zu verstecken.
»Du bist sehr weiß, Elisa. Hast du Angst vor brennender Sonne für deine Haut?«
Er machte sich eindeutig über sie lustig. Elisa biss sich vor Wut auf die Lippen, weil ihr partout keine passende Antwort einfallen wollte. Ihr Freund hockte so entspannt über ihr auf dem Baum, als wäre es das Normalste der Welt, Elisa beim Balancieren auf den Ufersteinen zuzusehen. Kelii trug fast nie mehr als das Tuch um seine Hüften. Er fühlte sich wohl in seiner Haut und grinste jetzt noch breiter. Der Schalk blitzte ihm aus den Augen.
»Hast du heute keine Worte für mich, Elisa? Nicht mal eine Begrüßung? Oder ein kleines Lob für ein kleines Stück von deinem Goethe?«
Elisa schnaubte wütend. Natürlich antwortete sie nicht, denn sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Blöße weiterhin irgendwie vor ihm zu verdecken, während sie über die Steine in Richtung ihrer Kleider stakste. Ihre langen Haare halfen ein wenig, aber trotzdem blieb jede Menge Haut frei. Es war unmöglich, mit dem nassen Haar ihre Brüste, das Dreieck zwischen ihren Beinen und ihren Hintern gleichzeitig zu bedecken. Dabei auch noch einigermaßen würdevoll auszusehen war schlichtweg aussichtslos.
Wieder sagte sie kein Wort, sondern kniff ungehalten ihre Lippen zusammen. Er sollte so früh gar nicht hier sein, sagte sie sich, während sie mit flinken Gesten das Unmögliche versuchte. Brüste und Dreieck? Oder das Hinterteil? Schließlich gab sie auf. Ihr Hintern blieb unbedeckt, während sie zu dem Baum floh, an dem ihre rettenden Kleider hingen. Sie wandte sich ihm so zu, dass er möglichst wenig von ihrer Rückseite zu sehen bekam, sodass sie quasi seitwärts ging. Völlig lächerlich musste sie in seinen Augen aussehen.
»Hast du Angst vor meinen Augen, oder vor der bösen Sonne?«, fragte er, während er frech zusah, wie Elisa versuchte, halbwegs schicklich zu ihren Kleidern zu kommen. Jetzt wurde Elisa richtig wütend.
»Du darfst mich nicht ansehen, wenn ich keine Kleider anhabe«, fuhr sie ihn an.
»Es ist tabu, und außerdem waren wir erst für abends verabredet. Hast du dort etwa schon die ganze Zeit gesessen?« Er nickte, sah aber dann gehorsam zu Boden. Elisa sah freilich genau, dass sich sein Körper vor unterdrücktem Lachen nur
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