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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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sobald sie verheiratet war, oder aber wenn sie die Fünfundzwanzig als alte Jungfer überschritten hatte, standen ihr die Türen zum Klatschnetzwerk offen.
    »Was sagen jetzt deine Gedanken?«
    Elisa hatte keine Lust, mit Kelii zu teilen, was sie gerade dachte. Es war einfach zu armselig. Sie kam sich ohnehin inzwischen ein wenig lächerlich vor. Ihr Freund hatte die intimsten Momente der Schwäche mit ihr geteilt, und sie machte Theater, weil sie keine Kleidung trug. Trotzdem war sie erleichtert, jetzt Stoff auf ihrer Haut zu fühlen. Der Unterrock aus feiner Baumwolle ließ ihre Schultern und ihren Hals frei und ging bis hinunter zur Wade, sodass sie sich ausreichend bedeckt fühlte. Mit geübter Handbewegung schlang sie ihre nassen Haare zweimal um ihr Handgelenk und band sie zu einem lockeren Knoten im Nacken, während sie mit festem Vorsatz auf ihn zuging. Die wilden Schmetterlinge in ihrem Bauch würde sie von jetzt an einfach ignorieren. Sie hielt ihm, wie jeden Tag, wenn sie sich das erste Mal sahen, ihre Hand zum typischen Hamburger Handschlag entgegen.
    »Wir fangen unseren Tag einfach noch einmal von vorne an, ja?«
    Kelii hatte sich an diesen Brauch gewöhnt, obwohl er ihn ein wenig lächerlich fand. Doch jetzt lächelte er spontan, dankbar dafür, dass alles beim Alten war.
    »Guten Morgen, Elisa. Wie geht es dir heute?«
    »Gut, danke. Ich leide ein wenig unter der Hitze. Deswegen bin ich im Morgengrauen hier hinaufgekommen, um in der ersten Morgensonne die Heilpflanzen zu sammeln, so wie dein Vater es mir erklärt hatte. Und jetzt …«
    Ihre Stimme verstummte, als sie Keliis Blick sah. Immer noch hielten sie sich bei den Händen, aber nichts war wie sonst. Trotz der Hitze war ihre Hand jetzt kalt in seiner, unsicher und klamm. Aber als sie sie zurückziehen wollte, verfestigte sich sein Griff. Dann sah er sie lange und forschend an.
    »Es geht dir wirklich gut?«
    Elisa nickte energisch, aber ihr Herz klopfte ihr jetzt bis zum Hals, und sie betete innerlich darum, dass er sie nicht fragen würde, was sie für ihn empfand. Nie hatten sie über ihre Gefühle gesprochen. Es war eine Freundschaft, weil es nichts anderes sein durfte. Doch seit Wochen schon brodelte in ihrem Inneren ein Vulkan von unausgesprochenen Worten. Warum musste Kelii nur so starke Schultern haben und einen so sinnlichen Mund? Wieso war er nicht klein, unscheinbar und bucklig? Dann hätte sie vielleicht mit ihm befreundet sein können, ohne jetzt diese Qualen aushalten zu müssen. Sie konnte einfach nichts gegen die Schmetterlinge in ihrem Bauch tun, die dort regelrecht verrückt spielten. Ja, ja, ja, sagte ihr Bauch, trau dich endlich, deinen Gefühlen zu folgen. Küss ihn einfach! Aber alles, was sie fertigbrachte, war ihren Liebsten schüchtern anzulächeln, während ihr Kopf versuchte, das Feuer zu löschen.
    Das war also diese verzehrende Leidenschaft, von der in vielen Büchern die Rede war. Dieses Gefühl begann Elisas bisheriges Leben Stück für Stück aufzufressen. Keliis Präsenz neben ihr war gewaltig. Er war alles, was sie sich erträumen könnte, wenn er ein junger Mann wäre, der zu ihrem Volk gehörte, oder aber zumindest ein Europäer wäre. Kelii war klug, einfühlsam und stark. Zu Recht würde er eines Tages der neue Anführer seiner Sippe sein. Vielleicht würde er sogar die Interessen der Insel Kauai repräsentieren, wenn es in Zukunft ein demokratisches Inselparlament gäbe.
    Elisa realisierte in diesem Moment, dass sie nicht nur sich selber beschützen musste, sondern auch Kelii in Gefahr war. Eine weiße Wahine zu haben, in diesen Zeiten, das wäre in seinem Volk ebenfalls ein sicherer gesellschaftlicher Abstieg. Don’t mix the blood. Das war die wichtigste Lektion, die alle hawaiischen Kinder von ihren Eltern lernten, sobald sie laufen und sprechen konnten. Elisa seufzte. Wenn dieses Gefühl in ihrem Bauch nur vorübergehen würde. Abrupt machte sie einen Schritt weg von Kelii.
    »Du findest mich lächerlich, nicht?«
    »Warum sollte ich lachen über dich? Was du fühlst, ist nicht komisch, sondern ernst, zumindest für mein Volk. Es ist das wichtigste Gefühl zwischen Kane und Wahine. Du und ich, wir gehören zusammen. Es ist nicht leicht, aber es ist so.« Elisa stockte vor Schreck der Atem. Wie konnte er wagen auszusprechen, was niemals sein durfte?
    Sein Lächeln war mit einem Mal traurig. So als könnte er Elisas Gedanken lesen, nickte er erneut.
    »Du hast recht … es darf nicht sein. Aber ich fühle,

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