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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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was ich fühle, Elisa!«
    Elisa sagte nichts, sondern blickte stumm zu Boden. Meinte er wirklich die Liebe, diese ganz große Liebe, die zwei Menschen für immer miteinander verbinden würde? Oder sprach er doch nur über ihre Freundschaft? Sie wagte nicht nachzufragen. Wie so oft flößte Keliis ernster Blick ihr mit einem Mal ein Gefühl von Ehrfurcht ein. Nur zwei Jahre älter als sie, trug er dennoch bereits viel Verantwortung in seinem Klan. Elisa hatte das Gefühl, seinem bohrenden Blick nicht mehr lange standhalten zu können.
    »Lass uns zum Wasserfall gehen, bevor es zu spät wird und ich zum Haus zurück muss«, flüsterte sie, während sie erneut den Blick gen Boden richtete. Sie hatte Angst, schwach zu werden, wenn sie noch länger in die Glut seiner Augen sehen musste. Sein Atem ging schnell und flach.
    »Keine Worte … noch?«
    »Keine Worte mehr, heißt es. Kein noch . Das war schlechtes Deutsch.« Elisa löste ihre Hand energisch aus seiner. Sie war froh, sich aus dem brenzligen Sperrgebiet ihrer Gefühle zurück in die Rolle der Lehrerin retten zu können. Er quittierte auch das mit einem verzeihenden Lächeln voller Humor.
    »Entschuldige für schlechtes Deutsch, Frau Lehrerin Elisa. Dein Wille möge geschehen, wie im Himmel so in Erde. Und auch in der Hölle. In alle Ewigkeit oder nein, nur für eine Sekunde. Gleich bestimme ich, in die nächste Sekunde.« Dann begann er plötzlich zu lachen und lief davon.
    Diesmal korrigierte sie sein Deutsch nicht, sondern schluckte hart. Der Moment ihrer Nähe war vorbei. Sie hatte ihn zurückgewiesen auf das Niveau, auf dem sie sich ohne Angst bewegen konnte. Sie durfte die überlegene weiße Herrin der Plantage spielen, und er war wieder ein ungebildeter Kanaka, eine Rolle, die er bisweilen einnahm, um Elisa zu provozieren: »Komm, Lehrerin Elisa, du hast nicht viel Zeit. Vielleicht nur kurze Sekunde, Minute und nicht einmal noch eine Stunde für dich allein …?«
    Elisa folgte Keliis breitem Rücken in Richtung Wasserfall. Den sich schlängelnden Pfad, der durch riesige gezackte Blätter führte, die in der Nähe des Wassers üppig gediehen, kannte sie gut. Das zunehmende Tosen des Wasserfalls mischte sich in ihre Gedanken über ihren klugen Freund. Kelii kannte sie inzwischen besser als ihre Mutter, aber gewisse Dinge blieben ihm ein Rätsel. Zeit war solch ein Beispiel. Ohne dass sie sich je absprachen, war er immer zum richtigen Moment am richtigen Ort, als könnte er intuitiv spüren, wann Elisa ihn herbeisehnte. Wenn sie aber versuchte sich mit ihm zu einer bestimmten Uhrzeit irgendwo zu verabreden, dann ging es meistens schief.
    Deshalb hatten sie sich mit der Uhr beschäftigt. Kelii war ein Schüler mit schneller Auffassungsgabe, und sie wusste, dass er sie gerade mit Absicht mit der Zeit provoziert hatte. Sekunden, Minuten und Stunden brauchte er nicht in einem runden Instrument, wie er sagte, weil die Hawaiianer ihre eigene Uhr in sich trugen. Mit einem Lächeln hatte er auf seinen muskulösen Bauch gedeutet, um ihr zu zeigen, wo genau sich Elisas Zeit befand. Er forderte sie mit seinem heiligen Ernst auf, diese Stelle an seinem Körper zu berühren, wo er Elisas Lebenszeit in sich trug. Bis zu dem Moment, an dem sie aufhören würde zu atmen, so sagte er, trug er Elisas Leben in sich.
    Natürlich hatte sie nicht getan, was er von ihr verlangte. Sie hatte seinen Bauch nicht berührt, sondern vor ein paar Tagen begonnen, vertieft mit Kelii über Religion zu sprechen. Bei ihren Spaziergängen hatte sie ihm das Vaterunser auf Deutsch beigebracht. Er kannte es durch die Missionarsschule bereits auf Englisch, und auch eine Vorstellung von Christus hatte er durch den Missionar. Doch vieles in der Religion der Haole hatte ihn nicht überzeugen können. Vor allem konnte der Missionar seine Fragen nicht beantworten.
    Elisa bot ihre Hilfe an, war aber schnell überfordert. Warum es kein Mutterunser in ihrem Land gab, hatte er sie ernsthaft gefragt. Immer war nur Kane wichtig, viel zu wenig Wahine. In der Religion seines Volkes waren die Frauen wichtig. Er hatte ihr von ihrer Göttin Pele erzählt, die sein Volk verehrte, aber auch fürchtete, weil sie mit glühenden Steinen nach ihren Kindern warf, wenn sie in Zorn entflammte. Mit den Vulkanen auf den Inseln hatte die Legende von Pele zu tun. Über die Jahrhunderte wurde Pele Bestandteil der hawaiischen Religion und bei schlechtem Benehmen wurde den Kindern gerne mit ihrer Rache gedroht.
    Kelii blieb auf

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