Tal der Tausend Nebel
Richtung Bett.
»Doch, Mutter, du hast völlig recht. Aber ich hatte ausrichten lassen, dass ich mich heute Morgen ein wenig um dich kümmern würde. Wir wollten doch schon länger einmal über eine andere Behandlung reden, nicht wahr?«
»Ach so? Wollten wir das?«
Elisa nickte und begann ihrer Mutter von der Medizin aus den Wasserpflanzen zu erzählen, die sie heute extra für sie gepflückt hatte. Nach Keliis Anweisungen zubereitet, würde das Pflanzenpulver ihr Augenlicht stärken. Aber ihre Mutter war zögerlich.
»Meinst du wirklich, dass Kelii besser über die Leiden der Frauen unserer Rasse und Kultur Bescheid weiß als unser lieber Doktor? Immerhin hat der Doktor alle vier Kinder von Katharina gesund auf die Welt gebracht. Er kennt weiße Frauen … ich meine, wir sind anders als Keliis Volk, Kind. Unsere Körper sind nicht wirklich gleich.«
Elisa war erstaunt.
»Du meinst, dass die Rasse eines Menschen eine Rolle spielt, wenn es um die Heilung eines Leidens geht?«
»Aber natürlich, Liebes. Wir Frauen aus Europa kommen aus einer Kultur, die nichts mehr mit unserer ursprünglichen Existenz unter … unter Bäumen und freiem Himmel zu tun hat. Wir leben seit Generationen in festen Behausungen. Bei den Hawaiianern ist das anders. Sie sind noch völlig mit der Natur verbunden. Sieh dir nur die gesunden Frauen und Mädchen der Kanaka an! Sie sind robust und bodenständig wie … wie junge wilde Tiere! Wir haben mit ihnen nicht viel gemeinsam. Wie also soll Kelii mir bei meiner überaus komplexen Erkrankung helfen können? Er kann doch noch nicht einmal im Ansatz ahnen, was mir fehlt. Und du, wie kommst du überhaupt auf solche Ideen?«
Elisa wollte etwas erwidern, aber ihre Mutter war noch nicht fertig. Wie eine tadelnde Lehrerin hatte sie ihren Zeigefinger erhoben und fuchtelte damit vor Elisas Gesicht herum.
»Du solltest über solche Themen nicht mit Kelii sprechen. Es schickt sich nicht für eine junge Frau aus unseren Kreisen. Es ist schlimm genug, dass es ein junger Kanaka war, der des Nachts den Verband an deinem Bein gewechselt hat, noch dazu ohne eine vertraute Aufsichtsperson im Zimmer. Versteh mich nicht falsch, Kind, ich bin froh, dass du es mir anvertraut hast … aber wenn etwas geschehen wäre, ich hätte es mir nie verziehen!«
Die Mutter seufzte bedrückt. »Und du weißt, dass ich Kelii sehr gerne habe, Liebes. Aber er ist und bleibt nun einmal einer von den primitiven Wilden. Es ist daher wichtig, mein Kind, über diese Zeit deiner Krankheit nie mit jemand anderem zu sprechen außer mit mir. Kelii hat dich in dieser Zeit nicht heimlich besucht. Es war eine dieser geheimnisvollen Kahuna-Heilerinnen, aber auf alle Fälle war nur eine Frau bei dir im Zimmer. Haben wir uns verstanden, Kind?«
Bittend sah die Mutter sie an. Elisa meinte, eine neue Furcht in ihren Augen zu erkennen, die ihr vorher nie aufgefallen war. Sie versuchte, die Stimmung aufzulockern, indem sie einen Spruch anbrachte, den ihr Vater immer gebraucht hatte, wenn sie bisweilen zu dritt im Hamburger Hafenviertel in zweifelhafte Restaurants gegangen waren.
»Ob Männlein oder Weiblein in der Küche ist egal, Hauptsache das Essen ist nicht versalzen, sondern schmeckt!«
Aber Clementia war nicht zum Scherzen zumute.
»Bitte, Elisa, hör auf mich! Ich meine, wir haben ohnehin schon genug Probleme mit deinem Onkel und deiner Tante. Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn … Ich meine, wir sind nun einmal vom Wohlwollen der beiden abhängig. Das musst auch du endlich verstehen … du bist jetzt kein Kind mehr.«
Elisa spürte die zunehmende Irritation und ließ von dem Thema ab. Aber während sie ihrer Mutter jetzt das glanzlose Haar bürstete, nahm sie sich vor, ihr einfach heimlich das Pulver aus den Heilpflanzen in den Tee zu mischen. Sie vertraute Kelii sehr viel mehr als dem Arzt, der ihr seinerzeit das Bein hatte amputieren wollen.
Statt weiter über Clementias Gesundheit zu sprechen, wechselte Elisa geschickt das Thema. Es gab neue geschäftliche Entwicklungen, die Paul ihrer Mutter am gestrigen Tag mitgeteilt hatte. Das lukrative Unternehmen der Gebrüder Gerhard Vogel & Paul Vogel florierte zwar seit einigen Jahren, aber das letzte halbe Jahr übertraf sämtliche Erwartungen. Nicht nur die Zuckerernte, sondern auch die von Gerhard gegründete Obstplantage warf endlich satte Gewinne ab.
Die Apfelbäume waren inzwischen groß und stark genug, um auch in den kommenden Jahren einen Zusatzgewinn zu
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