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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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viel hatte bewirken können, beschloss das Dorf, seine jungen Mädchen auf seine eigene Weise zu beschützen. Arbeiten mussten bis auf wenige Ausnahmen im Dorf alle Kinder ab ihrem zwölften Lebensjahr. Das hatte Keliis Vater zusammen mit den anderen Ältesten beschlossen, um das Dorfeinkommen zu verbessern. Vor allem die jungen Mädchen hatten ein Interesse daran, in ihren Familien mitzuverdienen. Sie wollten sich eigenen Besitz leisten können. Es war nicht besonders viel, was eine junge Braut in Keliis Dorf mit in die Ehe zu bringen gedachte, aber das Wenige war wichtig. Eine Grundausstattung an Schmuck, mehrere gewebte Decken und ihre Küchenutensilien wollte jedes junge Mädchen haben und strengte sich an. Noelani hatte extra viel gearbeitet, um sich besonderen Schmuck für ihre Fesseln leisten zu können. Sie war die Begabteste unter den jungen Tänzerinnen im Dorf. Bei ihrer Trauerfeier am Wasserfall hörte man die Klageschreie ihrer Freundinnen bis weit ins Tal hinein, so hatte Kelii es Elisa traurig erzählt. Selbstmord war etwas, das bei den Hawaiianern nicht oft vorkam. Umso schlimmer, dass ein begabtes junges Mädchen wie Noelani keinen anderen Ausweg sah.
    Nie wieder sollte so etwas geschehen, beschloss man im Dorf. Zwar hatte man nicht genug Beweise gegen Piet van Ween, um gegen ihn vorgehen zu können, aber der Verdacht blieb. Um die jungen Mädchen besonders effektiv zu schützen, wechselten die alten Frauen aus dem Dorf sich seitdem täglich mit dem Abholen ab. Sie kamen den Berg hinunter, meist zu zweit, und warteten am Tor der Plantage auf die jungen Frauen. Elisa war aufgefallen, dass die alten Frauen aus dem Dorf jetzt Messer trugen und bisweilen sogar eine Machete bei sich hatten. Es durfte nach Einbruch der Dämmerung kein junges Mädchen mehr auf der Plantage arbeiten, so hatte es Keliis Vater nach dem Gespräch mit Paul Vogel beschlossen. Stillschweigend übernahmen seitdem die älteren Bediensteten die nächtlichen Schichten im Haus. Auch durfte nie wieder ein Mädchen alleine in die Waschküche. Der Platz war tabu . Angeblich trieb dort Noelanis Geist ihr Unwesen.
    »Elisa, schau mal!«
    Aus ihren düsteren Gedanken gerissen betrachtete Elisa die beiden Bilder der Zwillingsmädchen. Sie musste unwillkürlich stolz lächeln. Die Kleinen hatten etwas von ihr gelernt. Mit ein wenig gutem Willen waren eine freundliche Sonne, der blaue Himmel und das Meer auf den beiden Kinderaquarellen zu erkennen. Aber das Schönste waren die strahlenden Gesichter der beiden Mädchen.
    »Gefallen dir unsere Bilder, Elisa?«
    Fast immer sprachen sie gemeinsam, oder aber die eine ergänzte den Satz der anderen. Eng beieinander stehend sahen sie ihre große schöne Cousine mit grenzenloser Bewunderung an.
    »Doch, sie gefallen mir ausgesprochen gut, ihr beiden. Und vor allem bin ich froh, dass ihr aufgehört habt, euch um das Papier zu zanken! Sehr schöne Bilder habt ihr gemalt. Wir legen sie hierher zum Trocknen, ja?«
    Das dritte Werk fehlte noch. Hildegard hatte Schwierigkeiten. Ihr erstes Werk erschien ihr nicht ausreichend gelungen, und jetzt bestand sie trotzig darauf, noch ein neues Bild zu beginnen.
    »Die dumme Farbe ist mir verlaufen … ich muss noch einmal von vorne beginnen, sonst ist Mutter enttäuscht …«
    Elisa kannte das schon. Widerspruch war bei Hildegard in solchen Fällen zwecklos. Nur selten war die älteste Tochter von Paul und Katharina mit sich selbst zufrieden. Elisa hing die Aquarelle der Zwillinge zum endgültigen Trocknen auf, während sie über die düsteren Anschuldigungen gegen Piet van Ween sinnierte. Wie viel von ihrem Wissen sollte sie Johannes gegenüber preisgeben? Oder sollte sie besser schweigen? Die seit Längerem kursierenden Gerüchte über Johannes gewalttätigen Stiefvater kannte Elisa einzig und allein durch Kelii. Aber es war mehr als wahrscheinlich, dass weder Johannes noch seine Mutter Marie etwas davon wussten. Trotzdem nahm Elisa sich vor, Johannes zumindest so behutsam wie möglich zur Ehe seiner Eltern zu befragen. Vielleicht würde er von sich aus etwas preisgeben.
    Eine gute Stunde später, als sie mit der fünfjährigen Hildegard ein kleines Geburtstagslied für Katharina auf der Blockflöte einüben sollte, war Elisa mit ihrer Geduld am Ende. Sie hasste es ohnehin, ihre kleinen Cousinen wie Schimpansen abzurichten. Der Musikunterricht war eine Farce. Keines der drei Mädchen hatte auch nur die geringste Freude daran, die Technik des Flötenspiels zu

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