Tal der Tausend Nebel
lernen. Es war Elisas Meinung nach viel zu früh und artete deshalb regelmäßig in Chaos aus. Auf das Xylophon wurde wütend von den Zwillingen eingeschlagen, und Hildegards Flöte quietschte herzzerreißend falsch dazwischen. Elisas Meinung nach waren die Mädchen musikalisch gesehen völlig untalentiert. Auch waren zwei volle Stunden Unterricht im Salon viel zu viel bei dem schönen Wetter draußen.
Wenn es nach Elisa ginge, würde sie ihre blassen und oft kränklichen Cousinen am liebsten barfuß und frei in den Gärten der Plantage herumstreunen lassen. In dieser Hinsicht hatte Maria van Ween recht. Kinder brauchten frische Luft, Fürsorge und so viel Freiraum zum Spielen wie möglich. Johannes’ Halbgeschwister waren zwar laut und wild, aber dafür rotwangig, gesund und ständig mit neu erfundenen Spielen beschäftigt. So wollte Elisa später ihre Kinder auch aufwachsen lassen, beschloss sie insgeheim.
Katharina war eine schwierige und sehr strenge Mutter. Sie bestand für ihre Kinder auf Kultur um jeden Preis, weil sie selber aus einem ungebildeten Haushalt kam. Mühsam hatte sie sich als junge Erwachsene einen Grundstock an Bildung angeeignet. Sie sprach inzwischen die deutsche Sprache in Gesellschaft zumindest auf mittlerem Niveau und hatte gelernt, sich sauber zu artikulieren, aber oft ließ sie sich immer noch gehen. Dann sprach sie das Deutsch einer ungebildeten Arbeiterfamilie. Und ihr Englisch, das sie regelmäßig bei ihren Abendessen an Elisa üben wollte, war grammatikalisch völlig falsch. Alles, was sie wirklich gut konnte, war das übliche Kauderwelsch, das sich viele Einwanderer den Einheimischen gegenüber angewöhnt hatten. Es war eine schrecklich primitive Sprache. Elisa weigerte sich von Anfang an, mit Kelii auf diesem niedrigen Niveau zu verharren. Ihrer Meinung nach war es nur eine Frage der Disziplin – und der eigenen Bildung.
Katharina fühlte sich deshalb anderen gegenüber oft minderwertig und sprach ständig davon, wie ihre Mädchen später in Deutschland in den besten Schulen erzogen werden würden. Elisa war dafür zuständig, ihre Cousinen frühzeitig darauf vorzubereiten und sie vor allem auch an die notwendige Disziplin zu gewöhnen. Allein für den Malunterricht und den musikalischen Drill war Elisa seit ihrer Genesung an sechs Tagen der Woche zuständig. Ihre Cousinen hassten sie bisweilen deswegen. Es gab zwar auch schöne Momente, aber allein die Anzahl an konzentrierten Unterrichtsstunden, die Katharina ihren kleinen Mädchen abforderte, war einfach zu viel.
Heute war es noch schlimmer als sonst. Es gab einen aktuellen Anlass für Elisas hohe musikalische Anforderungen beim Unterricht, denn Katharinas fünfundzwanzigster Geburtstag stand unmittelbar bevor. Sie sollte kommenden Sonntag im Kreis der Familie gefeiert werden, und auf Wunsch ihres Onkels war Elisa für eine kleine musikalische Überraschung zuständig. Zu dumm nur, dass Hildegard nicht das geringste musikalische Talent hatte. Die Blockflöte klang in den kleinen verschwitzten Händen wirklich schauderhaft. Elisa würde sich etwas anderes ausdenken müssen.
Noch zwei Mal an diesem Tag begegneten sich Johannes und Elisa. Das erste Mal war Elisa auf dem Weg in den Garten. Nach dem frustrierenden Versuch mit der Blockflöte wollte sie mit Hildegard und den Zwillingen ein wenig an der frischen Luft mit dem Ball spielen. Johannes kam von seiner Besprechung mit ihrem Onkel und sah lächelnd über den Zaun.
»Darf ich mitspielen?«
Spontan errötete Elisa.
»Das kann ich nicht selber entscheiden … das müssen Sie schon die drei jungen Damen hier fragen …«
»Johannes, Johannes!«
Schon stürzten die kleinen Mädchen auf ihn zu. Selbst Hildegard, die Elisa gegenüber fast nie spontan und überschwänglich war, lief auf Johannes zu. Elisa sah mit einem Schmunzeln, dass auch die Mädchen dem Charme des jungen Mannes kaum widerstehen konnten. Nachdem Hildegard ihn kritisch gemustert hatte, fasste sie ihren Eindruck zusammen.
»Du siehst viel besser aus als unser Vater.«
»Vielen Dank, Hildegard. Du siehst auch hübsch aus. Du bist ein ganzes Stückchen gewachsen, und Michaela und Barbara auch. Eure Haare sind jetzt länger, oder?«
Hildegard nickte stolz, während ihre Schwestern sich vor Verlegenheit kichernd hinter ihrem Rücken versteckten.
Elisa stellte sich zu den drei Mädchen.
»Na was ist, darf Johannes mitspielen?«
Wieder ein Kichern der drei. Elisa zuckte mit den Schultern und schüttelte
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