Tal der Tausend Nebel
Kapitel
Blaue Grotte, Kauai 1894
Elisa hatte für einen Moment das Gefühl, bei Tisch ohnmächtig zu werden. Ihre Augen waren fest geschlossen, denn sie wünschte sich verzweifelt Maja herbei. Obwohl sie wusste, dass es unmöglich war, denn diese fremde Frau konnte sie nur im Traum sehen – wenn man es überhaupt sehen nennen konnte.
Elisa durchlief seit ihrer letzten Begegnung mit Maja eine innere Krise. Sie hatte bereits mehrfach versucht, ihr Gesicht zu zeichnen, und das letzte Porträt war ihr sogar recht gut gelungen. Ein sanftes Lächeln spiegelte zumindest das Wesen von Maja wider. Die Züge der jungen Frau zeigten eine überaus gelungene Mischung aus Hawaii und Deutschland. Stolz auf ihr Werk hatte Elisa die Zeichnung in einen einfachen Rahmen aus Bambus gespannt und sie neben ihre Zeichnung der Bremen III über ihr Bett gehängt.
Aber an diesem Abend auf der Plantage wünschte sie sich Maja verzweifelt an ihre Seite, weil sie Angst hatte. So wie sie sich als Kind immer ihren Schutzengel gewünscht hatte, wenn ihr nachts etwas unheimlich war, brauchte Elisa bei diesem Abendessen dringend eine gute Freundin. Die stechenden Blicke ihres Gegenübers waren Elisa an diesem Abend mehr als unheimlich. Von Gerit Janson ging etwas Dunkles und Zwanghaftes aus. Elisa konnte seine Absicht ihr gegenüber nicht wirklich deuten, aber Kelii hätte ihr geraten, die Kraft der Göttin Pele zu beschwören.
Etwas stimmte nicht an diesem Abend. Das spürte Elisa, seitdem sie Gerit Janson zur Begrüßung ihre Hand gegeben hatte. Seine Blicke schienen sie förmlich auszuziehen und auch ihr kurzer Wortwechsel am Eingang war mehr als unpassend gewesen. Elisa erschauderte noch im Nachhinein, wenn sie an das diabolische Lächeln und die Gier in seinem Blick dachte.
»Guten Abend, Elisa, Sie sehen wirklich bezaubernd aus in der weißen Spitze … so … so rein und unschuldig.«
Bevor sie es verhindern konnte, hatte er sich über ihre Hand gebeugt und küsste sie in glühender Verehrung. Elisa war zu verdattert, um ihm antworten zu können, vor allem, weil es ihrem Onkel offensichtlich gefiel, wie leidenschaftlich Janson um ihre Gunst buhlte. Die Blicke der beiden ließen darauf schließen, dass sie sich abgesprochen hatten. Elisa ergriff ein Gefühl von hilfloser Wut. Doch bevor sie Janson mit gezielten Worten in die Schranken weisen konnte, ergriff er erneut das Wort.
»Verzeihen Sie, Elisa, dass ich mich Ihnen heute derartig ungehörig nähere, aber in mir ist seit unserem letzten Treffen ein Feuer entbrannt, das einzig und allein Ihre charmante Gegenwart lindern kann.«
Elisa wurde spontan schlecht. Sie wich zurück und wäre wohl auf dem Absatz umgedreht und in ihr Zimmer gegangen, wenn Onkel Paul ihr nicht den Weg versperrt hätte.
»Bitte lass meinen Freund Gerit zumindest ausreden. Er will nichts weiter, als dich ein wenig näher kennenlernen. Du bist immerhin meine einzige Nichte. Dein Vater hat mir dein Wohl anvertraut, und da wirst doch auch du mir ein wenig vertrauen …«
Elisa kannte diesen Blick. Ihr Onkel duldete keine Widerrede. Auch hatten die beiden sich in der Tat abgesprochen, denn jetzt stellte sich auch Gerit vor sie. Sein Lächeln war unergründlich, als er fortfuhr.
»Ihr Onkel hat mir in Aussicht gestellt, ich dürfte an diesem Abend zumindest auf ein kleines bisschen Ihrer Zeit hoffen?«
Elisa war unwillkürlich errötet. Erneut griff er nach ihrer Hand, aber sie hatte sie ihm schnell entzogen, um ihn an weiteren Galanterien zu hindern, die ihr noch mehr Übelkeit verursacht hätten. Mit voller Absicht hatte sie ihre Stimme einige Grad kühler als sonst klingen lassen.
»Guten Abend, Herr Janson. Ich weiß nicht genau, worüber Sie mit meinem Onkel sprachen, aber wenn Sie auf ein interessantes Tischgespräch hoffen … nun, Sie kennen ja bereits meine Vorlieben. Sollte es um Politik gehen – dazu bin ich jederzeit bereit.«
Ihr Onkel war bei Elisas Worten in spontanes Gelächter ausgebrochen. Aber auch der ankommende alte Fried konnte sich einen belustigten Kommentar nicht verkneifen.
»Aber Fräulein Elisa, wieso wollen Sie so viel Grazie und jugendliche Anmut mit hässlichen Männerthemen verunstalten? Mir wurde versprochen, Sie seien für den musikalischen Teil der Unterhaltung zuständig. Das wäre doch vielleicht um einiges passender?«
Gut gelaunt zwinkerte er ihr zu. Elisa konnte Fried einfach nicht böse sein. Aber auf ihren Onkel hatte sie einen gewaltigen Zorn, denn er lachte immer
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