Tal der Tausend Nebel
sprach? Und warum? Was hatte diese Frau mit Maja zu tun?
Keanu wollte keine Fragen mehr beantworten. Er sagte ihr nur, dass sie sich diesen Namen bitte merken sollte. Er würde eine große Bedeutung in ihrem Leben bekommen.
Als Keanu sie kurz darauf in die Parkgarage begleitete, in der sie heute ihr Auto abgestellt hatte, spürte sie vor allem seine Anspannung. Mit jedem Schritt, mit dem Keanu sich mit ihr vom Meer entfernte, verließ er auch Maja. Es war, als bildete sich eine Schicht undurchdringlicher Distanz zwischen ihnen. Sie wusste plötzlich, dass er sie schon vor ihrem Abschied ausblenden wollte. Wahrscheinlich hasste er Abschiedsszenen genauso sehr wie sie. Trotzdem fühlte sie mit einem Mal eine große Wut und auch so etwas wie Trauer. Warum jetzt schon ein Abschied? Ihr Seminar war noch nicht zu Ende, und sie würden sich ohnehin täglich wiedersehen. Diese Theatralik war völlig ungerechtfertigt. Dieser Abend war nur ein kleiner harmloser Urlaubsflirt gewesen, der nicht unbedingt in einer Parkgarage enden musste.
»Doch, Maja, es muss enden. Es ist gefährlich, und es ist tabu.«
Wieder hatte er ihr die Gedanken von der Stirn abgelesen. Eine andere Eigenschaft, die Maja noch nicht bei einem Menschen erlebt hatte. Sie atmete tief durch, um sich zu wappnen, denn sie musste noch ein ganzes Stück fahren, und ihre Knie zitterten. Aber während Keanu in einem Hotel in Nizza in der Nähe des Seminars wohnte, musste Maja mit ihrem Auto noch zurück nach Antibes. Sie wohnte wie immer privat an der Côte d’Azur. Dem Geschäftspartner ihres Vaters gehörte eine millionenschwere Luxusvilla am Cap. Immer wenn Majas Familie hierher kam, wohnten sie dort. Das große Haus war ausgelegt für mindestens acht Leute und hatte einen spektakulären Swimmingpool. Zu gerne hätte sie Keanu eingeladen, mit ihr zu kommen, denn in dieser Woche war sie ganz alleine dort. Aber sein warnender Blick signalisierte ihr, diesen Gedanken nicht auszusprechen, und sie schwieg.
Sein Abschied an ihrem Wagen war förmlich und distanziert. In dem stickigen Parkhaus war Keanus Haut von einem fast fahlen Gelb. Alles Leben schien aus ihm gewichen. Plötzlich tat er ihr leid. Auch er schien sich mit dem Abschied keineswegs so leicht zu tun, wie es zunächst den Anschein hatte. Maja suchte verzweifelt nach unverfänglichen Worten, um locker an das Geschehen im Meer anzuknüpfen. Sie wollte sich vergewissern, dass es nicht nur ein einseitiger Traum war. Ihr Mund öffnete sich, aber es kamen keine Worte raus. Welche auch? Hast du ebenso viel gefühlt wie ich? Was für eine dumme Frage!
»Wir sehen uns morgen«, sagte sie zaghaft. Mehr brachte sie nicht heraus. Er legte seine Finger auf ihre Lippen. Sie konnte nicht anders, als ihren Mund zu öffnen.
Maja schmeckte das Salz auf seiner Haut. Seine Finger waren kühl und zitterten. Wie vorhin im Wasser schloss sie ihre Augen und wartete. Aber diesmal folgte kein Kuss. Sanft sagte Keanu ihr ein deutsches Auf Wiedersehen. Er wartete, bis sie in ihr Auto gestiegen war und wegfuhr. Im Rückspiegel sah sie sein Gesicht, das im Neonlicht des Parkdecks merkwürdig alt und verloren aussah.
Als sie am Tor der Villa ankam, war sie seltsam aufgekratzt und hungrig. Nachdem sie sich eine Weile mit der komplizierten Alarmanlage herumgeärgert hatte, durfte sie die Luxusvilla endlich betreten. Der Kühlschrank war so gut wie leer. Ein paar Oliven, ein Rest Käse und jede Menge Erdnüsse waren ihr Nachtimbiss, halfen aber auch nicht wirklich gegen eine steigende Unruhe. Kurz tauchte sie im Pool unter, um das Salz abzuwaschen, das begonnen hatte, auf ihrer Haut zu kribbeln.
Sie dachte daran, Stefan noch anzurufen, aber es blieb bei dem Gedanken. Sie brauchte dringend Zeit, ihre Gefühle und Gedanken zu ordnen. Ihr war, als hätte sie in den wenigen Stunden mit Keanu mehr erlebt als mit Stefan während des ganzen letzten Jahres.
Mit nassen Haaren fiel sie wie ein Stein aufs Bett und zog das Laken über sich. Gedanken an Haie und Liebe mischten sich in ihrem Kopf zu einem Reigen aus Bildern aus einer anderen Welt. Dann schlief sie ein.
Etwa eine Stunde später kam der Traum. Zunächst erschien es Maja nicht wie ein Traum, denn die Träume, die sie sonst hatte, waren eher chaotisch. Sie waren oft eine wüste Mischung aus dem, was sie im Lauf des Tages erlebt hatte, und geradezu klassischen Traumsymbolen. Dieser Traum aber war anders. Es war Elisa, die ihn Maja durch den Nebel hindurch schickte.
6.
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