Tal der Tausend Nebel
Zumindest klang er nach mehr als einem Glas Wein, als er Majas Versuch, ihr Gespräch zu beenden, immer wieder abblockte. Stefan liebte es, ihr im unpassenden Moment romantische Worte durchs Telefon zuzuflüstern. Es waren Worte, die er nie im Bett zu ihr gesagt hätte. Nur über das Handy fanden seine heimlichen Sehnsüchte den Weg in ihr Ohr. Am Telefon konnte er richtig erfinderisch werden. Bisweilen hatte sie ihn gar im Verdacht, nebenbei eine Telefonsex-Beziehung zu führen. Seine Ausdrücke waren explizit, und Maja konnte seine wachsende Erregung auch am nächtlichen Strand von Nizza sehr deutlich am anderen Ende hören.
»Wir müssen jetzt aufhören, Stefan … leider … nein, ich kann im Moment nicht länger mit dir reden. Ich bin nicht alleine.«
Immer mal wieder hatte Maja die Telefonmanieren ihres Freundes nicht goutieren können, aber heute war es zudem ausgesprochen schlechtes Timing. Mit verdrehten Augen ließ sie seine erotischen Vorstellungen mehr über sich ergehen als zu partizipieren. Stattdessen hielt sie das Handy weit von ihrem Ohr, sodass Stefan die Autos an der Strandpromenade hörte.
»Ich muss jetzt aufhören … Wir sind auf dem Weg zu meinem Auto.«
Keanu lächelte. Ahnte er, worüber Stefan gerade sprach? Wenn ja, ließ er sich nicht das Geringste anmerken. Dabei musste das Lächeln in ihrem Gesicht völlig verzerrt wirken. Gefühle von Scham und Schuld überwältigten sie. Für Stefan empfand sie in diesem Moment nichts weiter als Aversion und Verachtung, denn er wollte einfach kein Ende finden.
»Ja, mein Schatz, ich dich auch. Aber ich muss jetzt Schluss machen! Nein, die Kollegen hier gehen gerade mit mir zur Parkgarage. Du weiß doch, dass ich da so ungern alleine reingehe. Ja, doch … ich dich auch. Schlaf schön!«
Schwer atmend legte sie das Handy in die Handtasche. Sie war verwirrt, denn gleichzeitig war sie immer noch erregt und aufgewühlt von ihrem Erlebnis im Wasser. Eine völlig neue Welt hatte sich vor ihr aufgetan.
Einen Moment lang sah sie zu, wie Keanu ihr nasses Höschen und ihren BH über den Steinen auswrang. Sie fühlte sich mehr als hingezogen zu ihm. Am liebsten hätte sie ihre Hände in seinem schweren Haar versenkt und ihn stundenlang einfach nur geküsst. Aber Stefans Anruf hatte sie durcheinandergebracht. Sie hasste es zu lügen. Wieso hatte er ausgerechnet jetzt ein Liebestelefonat führen wollen? Maja versuchte verzweifelt, zur Normalität zurückzufinden. Es lag am Vollmond und am Mistral. Nur deshalb hatte sie sich auf ein derartiges Erlebnis mit einem Fremden eingelassen. Nie hatte sie bisher einen ihrer Freunde betrogen. Aber war es tatsächlich ein Betrug? Hatte sie Stefan überhaupt mit Keanu betrogen?
Keanu kam zu ihr zurück. Er reichte ihr ihre feuchte Unterwäsche. Maja sollte sie in ihre Handtasche stecken. Als sei es das Normalste der Welt, redete er über die Vorteile von langen Kleidern. Bei ihnen auf den Islands trugen auch die Männer oft lediglich Tücher, die sie um ihre Hüften wickelten.
»Für Frauen ist es wichtig, keine nassen Sachen zu tragen. Du wirst sonst auf dem Heimweg deinen Bauch erkälten. Und das da … es ist ein Geschenk zur Erinnerung an deine erste Begegnung mit der Haifischfrau.«
Unfähig ihm zu antworten, nickte sie stumm. Auf ihren BH und ihr Höschen hatte er einen flachen Kieselstein gelegt, wie sie am Strand der Côte d’Azur häufig vorkamen. Aber dieser Stein war besonders. Er war zur einen Hälfte dunkel und zur anderen Hälfte war er aus weißem Quarz. Durch das Dunkel zog sich eine feine helle Linie. Auf die feine Zeichnung auf dem Stein deutete er jetzt. Maja erkannte, dass die Linie aussah wie eine Haifischflosse.
»Es war wunderschön … aber jetzt muss es für immer vorbei sein. We do not want to break kapu! It would be dangerous!«
Er war ins Englische verfallen, aber Maja spürte auch so instinktiv, was er ihr mitteilen wollte. Sie durften sich nicht wiedersehen. Es war zu gefährlich. Die Anziehung zwischen ihnen war zu stark. Sie waren beide nicht frei. Er erklärte es ihr noch in blumigen Worten, in denen die Geister der Haifischfrauen und die Kahuna auf seiner Insel eine Rolle spielten. Aber Maja hörte nicht wirklich hin. In ihr war vor allem Verwirrung. Ihr Bauch und ihr Kopf führten einen erbitterten Kampf. Sie hörte seine Stimme erst wieder, als er mehrmals langsam und überdeutlich den deutschen Namen Elisa Vogel aussprach. Aber war es wirklich seine deutsche Ahnin, von der er
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