Tal der Tausend Nebel
Keanu jedoch wie verändert. Etwas schien ihn auf einmal zu beunruhigen. Er sah prüfend hinaus aufs Wasser. Etwas geradezu Abweisendes ging von ihm aus. Natürlich, er fühlte sich seiner Freundin gegenüber schuldig. Es war ja im Grunde genommen nicht Maja, die er wollte, sie war nur eine Lückenbüßerin. Wäre die schöne Leilani mit der Hibiskusblüte hinter dem Ohr jetzt hier, hätte Keanu Maja gewiss nicht einmal angesehen. Er hatte ihr ja ausgiebig erklärt, dass Haole , wie sie hauptsächlich eine war, bei seinem Volk nicht gerade als Schönheiten begehrt sind. Je mehr weißes Blut, desto hässlicher. Nase zu lang, Haut zu hell, Bewegungen zu schnell für den hawaiischen Geschmack.
Plötzlich hatte das Erlebnis im Wasser einen schalen Beigeschmack bekommen. Maja fühlte sich beschmutzt. Alles, was sie jetzt wollte, war ein schneller Abschied und dann zu ihrem Auto. Eine sichere Tür, die sie hinter sich schließen konnte. Sie musste allein sein, um ihre Gefühle zu verarbeiten. Nur weg von diesem Mann, der auch im hässlichen Licht der Straßenlaterne noch aussah wie ein Gott.
Maja kannte sich zu gut. Keine einzige weitere Stunde konnte sie bei ihm bleiben, ohne sich lächerlich zu machen. Die Wahrheit war schrecklich blamabel. Sie hatte sich in diesen Mann verliebt. Natürlich war diese Liebe unmöglich, denn er würde sie nie erwidern können. Aber für Maja war es bereits zu spät. Das Unmögliche hatte schon immer großen Reiz auf sie ausgeübt, und diesmal würde sie bezahlen müssen. Heftiger Herzschmerz war vorprogrammiert, und sie konnte rein gar nichts mehr dagegen tun. Das restliche Seminar über würde sie leiden wie ein geprügelter Hund.
Während sie ihre schweren Haare so gut es ging über den Kieselsteinen am Strand auswrang, versuchte sie sich zu trösten. Sicher war dieser Hawaiianer ohnehin nur ein abergläubischer Spinner. Und es wäre nur gut, wenn auch Majas Körper das möglichst schnell einsehen würde. Nicht nur ihr Herz klopfte immer noch vor Aufregung, auch ihre Haut schien lebendiger als sonst. Das fordernde Pochen zwischen ihren Beinen wollte einfach nicht aufhören. Ihre Brustwarzen standen hart und steil. Sie würde sich irgendwie ablenken müssen. Am besten, sie dachte an etwas Unerfreuliches … etwa den nächsten Zahnarztbesuch. In diesem Moment erklang eine vertraute Melodie aus ihrer Handtasche. Stefan! Ihr Handy, oder besser gesagt Stefans Klingelton auf ihrem Handy, meldete sich. Hastig griff sie zu dem Rettungsanker.
»Stefan! Schön, dass du noch anrufst … Nein, Schatz, ich bin noch nicht zurück in der Villa. Ich war mit Kollegen beim Essen …«
Es würde ein längeres Telefonat werden, das hörte sie am Klang seiner Stimme. Stefan liebte es, am Abend, bevor er schlafen ging, seinen Tagesablauf in der Klinik im Detail mit ihr durchzusprechen. Während Keanu sie belustigt ansah, lieferte Maja routiniert ein »Ja, wirklich?«, »Toll!« oder »Wie wunderbar, mein Schatz«. Ansonsten musste sie Stefan nur zuhören.
Ihr wurde kalt. Keanu war bereits fertig angezogen. Stumm reichte er ihr das Kleid, sodass sie in Ruhe telefonieren konnte. Er hatte verstanden, dass Majas Freund nicht unbedingt mitbekommen sollte, dass sie nachts mit einem fremden Mann im Meer schwimmen war. Nass wie sie war, gelang es Maja kaum, den dünnen Stoff mit dem Blümchenmuster über ihren Körper zu ziehen. Keanu half ihr. Lautlos und geschickt entfernte er den nassen BH unter ihrem Kleid. Dann ihr Höschen. Danach bückte er sich, um mit seinem Pulli, den er vorher über die Schultern geworfen hatte, ihre Füße abzutrocknen. Seine Stimme war kaum hörbar.
»Du sollst nicht kalt werden.«
Maja hauchte einen stummen Dank, verdrehte die Augen und deutete auf ihr Handy. Stefan fand kein Ende. Keanu lächelte und bückte sich erneut, um die Bänder von Majas Sandalen um ihre Knöchel zu flechten. Erst den rechten Fuß. Maja hielt sich an seiner Schulter fest, um nicht den Halt zu verlieren. Seine Hände waren zärtlich, als er den Halt der Bänder prüfte. Gründlich band er ihr die Schleife und prüfte, ob der Riemen auch nicht in die Haut einschnitt. Danach versorgte er ihren zweiten Fuß, so als hätte er in seinem Leben nichts anderes getan. Maja war gerührt. Gleichzeitig war sie aber auch von der Situation überfordert, denn Stefan hörte nicht auf zu reden.
»Ja, mein Schatz, das ist wirklich wunderbar. Das müssen wir feiern, wenn ich zurück bin.«
Stefan musste getrunken haben.
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