Tal der Tausend Nebel
beschäftigen, so hätte er sie mit einem größeren Gehirn ausgestattet, meinen Sie nicht meine Herren?«
Zustimmendes Murmeln, allerdings nur leise, denn die anwesenden Damen hielten ihre Blicke zwar gesenkt, aber Zustimmung nickte keine von ihnen.
»Kleiner Scherz … ich würde an so einem schönen Abend nicht wirklich daran denken, mein entzückendes Gegenüber in irgendeiner Weise zu verärgern … Allerdings muss ich sagen, dass mich Ihr Anblick überaus entzückt, wenn Sie erröten, und sei es auch nur aus Zorn. Ihr Onkel hatte recht … man spürt Ihre Leidenschaft und Ihr Temperament. Haben Sie schon einmal gesehen, wie ein störrisches Pferd zugeritten wird, Elisa?«
Im Salon hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so leise war es plötzlich.
Elisas Blick verdunkelte sich. Ihr Onkel hatte die Sitzordnung in letzter Minute verändert, auf Gerits Wunsch, wie Elisa wusste. Sein auffordernder Blick in ihre Augen war jetzt die reinste Provokation. Elisa wollte ihm mitten in das Schweigen eine gesalzene Antwort auf seine Frechheit geben, als ihre Mutter laut zu husten begann.
»Ich … habe mich verschluckt … Elisa … bitte … könntest du?«
Elisa stand auf und klopfte ihrer Mutter auf den Rücken, bis der kurze Anfall vorüber war. Die anderen wendeten sich ihren jeweiligen Tischgesprächen zu. Der Moment der Spannung war vorüber. Als Elisa an ihren Platz zurück wollte, flüsterte ihre Mutter ihr warnend zu, dass sie Janson bloß nicht weiter reizen sollte. Elisa flüsterte ebenso leise zurück.
»Warum nicht? Er provoziert mich doch auch!«
»Hör einfach auf mich, mein Kind … bitte! Versuche einfach, ein wenig gehorsamer und … und vor allem diplomatischer zu sein.«
Elisa sah Angst in den Augen ihrer Mutter. Als sie zu Janson hinübersah, um zu sehen, ob er sie beobachtete, schien er jedoch nichts mitbekommen zu haben. Er unterhielt sich angeregt mit der Frau des Pfarrers.
Sie waren an diesem Abend genau zwanzig Leute an dem großen Tisch im Salon der Plantage Vogel, so wie Katharina es sich zu ihrem Geburtstag von ihrem Mann gewünscht hatte. Davon würden neunzehn Zeugen einer Maßnahme werden, die dazu gedacht war, Elisa ein für alle Mal an ihren Platz als Frau zu verweisen. Der nächtliche Ausflug in die Blaue Grotte war nicht zufällig Katharinas Idee gewesen. Auch sie war als junges Mädchen und noch vor ihrer Ehe eines Nachts in die Grotte gefahren. Der Ausflug bestimmte ihr Schicksal, aber nie wieder hatte sie den Wunsch verspürt, die Grotte erneut zu betreten.
Obwohl an diesem Abend alle Zeugen wurden, wie intensiv Janson um seine Zukünftige buhlte, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand, dass aus einem geplanten Denkzettel für Elisa ein Akt grausamer Gewalt werden würde. Vor allem Elisas Mutter, nur teilweise eingeweiht in den Plan ihrer Schwägerin, wusste nichts von dem Ausmaß der geplanten männlichen Machtdemonstration. Aber Clementia verspürte eine vage Ahnung von dem Grauen, als sie sah, wie Janson sich eifrig nachschenkte. Doch obwohl sie so tief verbunden mit ihrem einzigen Kind war, spürte sie zwar eine Furcht, die ihr den Magen zuschnürte, aber sie sagte nichts weiter als die wenigen Worte über Gehorsam und Diplomatie. Was hätte sie aber auch sonst tun sollen? Das Schicksal einer Frau war ihr zukünftiger Mann. Dem hatte sie sich zu fügen.
Auch Elisa spürte eine gewaltige und ganz und gar unausweichliche Veränderung auf sich zukommen. Ähnlich einem gewaltigen Baumstamm, der bereits von der Säge durchtrennt auf den Stoß wartet, der ihn zu Fall bringt, schien ihr Schicksal auf merkwürdige Weise besiegelt. Nur glaubte sie, noch Zeit zu haben, und zwar die Menge an Zeit, die jeder Verlobten zugestanden wird, bevor ihr Körper aufhört, nur ihr allein zu gehören.
Elisa spielte auf Zeit, denn sie sah keine unmittelbare Gefahr, weder bei Tisch noch bei einem nächtlichen Ausflug mit Janson. Johannes würde sie begleiten und beschützen, dessen war sie sich mehr als sicher. Er war ihr Freund. Sie liebte Kelii und hatte sich ihm versprochen. Ihre Entscheidung war gefallen, und zur rechten Zeit würde sie auch wissen, was zu tun war. Auch Kelii würde es wissen. Notfalls würden sie zusammen von hier fortgehen, auf eine der größeren Inseln, die bereits fortschrittlicher waren. Vielleicht könnte Elisa sogar als Lehrerin arbeiten, wenn sie ihren Namen ändern würde. Maja arbeitete als Lehrerin, das hatte sie bereits in Erfahrung gebracht. Und auch,
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