Tal der Tausend Nebel
zugeflüstert, die Elisa nicht richtig deuten konnte. War sie wirklich so widerspenstig, dass ihre Mutter sie zweimal an einem Abend daran erinnern musste, charmant und diplomatisch zu Janson zu sein und ihn nicht zu verärgern? In gewisser Weise fand Elisa ihn auch ganz in Ordnung, denn zumindest schien er im Gegensatz zu ihrem Onkel kein Mann zu sein, der plante, seiner Frau das Zepter zu überlassen. Und in der Kutsche, ohne Publikum, war er Elisa gegenüber um einiges offener gewesen. Obwohl Johannes dabei war, hatte er ihr sogar einen gewissen Respekt für ihr Wissen gezollt, vor allem in Politik und Wirtschaft.
Sie hatten sich ein wenig über den eskalierenden Konflikt auf Big Island, wie er die Insel Hawaii selber nannte, unterhalten. Dabei stellte sich heraus, dass Janson seinerseits Teile der königlichen hawaiischen Familie Kamehameha näher kannte. Sogar ein gewisses Bedauern drückte er aus, denn er erkannte, ebenso wie Elisa, sehr viel Wertvolles in der hawaiischen Kultur und Lebensweise.
»Allein ihre ursprüngliche Ernährung, der Poi aus den Tarowurzeln, der frische Fisch und die Früchte, ist um so viel gesünder als unser gepökeltes Fleisch, die mehligen Kartoffeln und der viele Zucker, den wir alle hier anbauen. Und erst die Schnapsbrennerei! In nur wenigen Jahren fielen meinen Arbeitern die Zähne aus, sie wurden fett und schwach und konnten immer weniger arbeiten. Unsere heilige Zivilisation, wie wir sie leben, tut diesem Volk nicht gut. Und vielleicht tut unser Leben noch nicht einmal uns selbst wirklich gut? Ich für meinen Teil habe so meine Zweifel, selbst an der vom Pfarrer so hochgelobten Monogamie …«
Elisa hätte fast laut aufgelacht, als er das gesagt hatte, hielt sich aber vornehm zurück. Jeder auf der Insel wusste, dass Janson gleich mit mehreren hawaiischen Frauen das Bett teilte und auch einige Kinder gezeugt hatte. Sie hatte schnell das Thema gewechselt und lieber über den Herrn Doktor geredet, der das ganze Essen über ungewohnt schweigsam gewesen war, aber am Ende eine regelrechte Bombe platzen ließ. Auf der Insel Oahu würden seit einiger Zeit gehäuft Fälle von Lepra auftreten. Die Hawaiianer nannten die schreckliche Krankheit Mai Pake , da sie davon ausgingen, dass einwandernde Chinesen sie zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts mit sich nach Hawaii gebracht hatten. Leider steckten sich speziell hawaiische Kinder häufig schnell und oft tödlich an.
Ein Kollege aus Oahu hätte bei seinem Besuch eine Warnung ausgesprochen, die speziell das Haus am Hafen von Lihue betraf. Auch dort sei ein erster Fall der unheilbaren Krankheit unter den Mädchen aufgetreten. Das Etablissement sollte möglichst schnell geschlossen werden. Von der Insel Molokai war die Rede. Dorthin verbannten alle hawaiischen Inseln inzwischen ihre Leprakranken, um die Gefahr einer Seuche zu verhindern.
Natürlich hatte Katharina das für Elisa sehr spannende Thema bereits im Keim erstickt. Die Ausbreitung von Lepra sei nun wirklich kein Thema für ihre Geburtstagsfeier. Der Doktor hatte daraufhin geschwiegen, und Elisas neugierige Fragen wurden nicht weiter beantwortet.
Janson hingegen gab ihr in der Kutsche großzügig Auskunft. Er wusste einiges über diese Krankheit zu berichten, die bereits in den Achtzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts ihr schreckliches Gesicht auf den hawaiischen Inseln gezeigt hatte. Auch damals seien es die ganz jungen Mädchen gewesen, die sich bei chinesischen Matrosen angesteckt hatten.
»Das hätten Sie sehen sollen, Fräulein Elisa, wie die Mädchen verzweifelt geschrien und sich die Haare ausgerissen haben, sobald sie die verräterischen Flecken an ihrem Körper entdeckt hatten. Bei manchen von ihnen hat sich die Seuche rasend schnell ausgebreitet. Das hübsche Gesicht, die zarte goldene Haut, alles bedeckt von diesen grauenerregenden Geschwülsten. Und dann die Verbannung auf die Leprainsel … Ich war damals noch ein junger Mann … aber ich sage Ihnen, ich habe durch diese Krankheit etwas gelernt …«
»Und was genau?«
Elisa sah ihn neugierig an. Janson lächelte diabolisch.
»Man sollte sich sehr genau überlegen, vor allem als Frau, mit wem man sein Bett teilt. Nur weil die Matrosen den Mädchen Spiegel, Stoffe und bunte Perlen brachten, hätten sie diese Chinesen noch lange nicht in ihre Hütte einladen dürfen. Diese beiden Rassen sollen sich nicht mischen, grundsätzlich nicht … Ich meine, ich habe nichts gegen die Pake. Sie sind fleißige Arbeiter
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