Tal der Traeume
einzigen Mann als Begleitung dabei.« »Das ist mir egal«, flehte sie. »Harriet, es ist unmöglich. Du würdest mich nur aufhalten. Pop könnte sterben, ich darf keine Zeit verlieren. Morgen früh breche ich auf. Ich habe Myles nach London telegrafiert, damit er sofort nach Hause kommt.« Er ließ sich in einen Sessel sinken. »Er wird Monate brauchen, bis er hier ist. Bete zu Gott, dass Pop es übersteht, sonst ist Myles am Boden zerstört, wenn er zu spät kommt. Er wird sicher das erste Schiff von England aus nehmen.« Harriet war tief gekränkt. Sie wollte nicht von einer Familienkrise ausgeschlossen werden, zudem behandelte William sie wie ein Porzellanpüppchen, anders als die Frauen von den Stationen, anders als die erste Mrs. Oatley, die allem Anschein nach die geborene Reiterin gewesen war. Sie schaute das Foto von Emily May an, das zwischen anderen Familienfotos auf einem Sideboard stand. Als sie entdeckt hatte, wer diese streng dreinblickende Frau war, hatte Harriet zunächst geglaubt, man habe das Bild einfach übersehen. Doch niemand nahm es weg, und sie sagte nichts, um ihren Mann nicht zu verärgern. In diesem Moment jedoch war sie wütend und machte sich auf die Suche nach William. »Ich verstehe nicht, weshalb ich nicht mitreiten kann. Zu Hause bin ich auch geritten.« Er schüttelte den Kopf. »Das bequeme Reiten durch die ruhigen Straßen von Perth kannst du nicht hiermit vergleichen. Ich kann dich nicht mitnehmen, Schluss, aus.« Harriet gab auf. »Na gut, wann fährt dein Zug?« »Ich nehme nicht den Zug, der geht erst in zwei Tagen. Ich werde die gesamte Strecke reiten.«
Billy Chinn und Tom Ling standen vor Tagesanbruch mit ihnen auf. Am Tor wartete ein drahtiger Bursche mit zwei Pferden, den William als Sweeney vorstellte. »Werden sie auf der langen Strecke nicht müde?«, erkundigte sich Harriet bissig, doch William war damit beschäftigt, Gewehre und Gepäck festzuschnallen, und achtete nicht auf ihren Tonfall. »Nein, wir bekommen unterwegs frische Pferde.« Er küsste sie zum Abschied. »Pass gut auf dich auf, Liebes. Falls du etwas brauchst, wendest du dich einfach an Leo im Büro. Er wird sich um alles kümmern.« Sie schwangen sich in den Sattel und verschwanden in einer Staubwolke, als das erste Licht auf die verlassene Straße fiel.
12. Kapitel
William war seit Wochen unterwegs, und Harriet besuchte Leo beinahe täglich, um sich die Langeweile zu vertreiben. Erst jetzt wurde ihr klar, wie abhängig sie von ihrem Mann war. Während seiner Abwesenheit blieben die Einladungen nach und nach aus, und sie fragte sich, wie es wohl für eine Witwe sein musste. Anna, die Freundin ihrer Mutter, hatte sich immer darüber beklagt, dass Frauen ohne Partner gesellschaftlich nicht akzeptiert seien. Dann und wann erkundigten sich Leute auf der Straße nach Pop Oatley, doch sie konnte nur sagen, dass es ihm nach wie vor schlecht gehe. Während er noch gegen die Nachwirkungen der Herzattacke kämpfte, hatte er sich eine schwere Lungenentzündung zugezogen. Leo sorgte sich um Myles, dessen Aufenthaltsort er noch immer nicht hatte ausfindig machen können. Er hatte keine Antwort auf die beiden Telegramme nach England erhalten, und als er sich bei der Londoner Bank nach Mr. Oatleys augenblicklicher Anschrift erkundigte, erfuhr er, dass Myles sein Konto gekündigt hatte. »Vermutlich ist er irgendwo auf dem Kontinent«, meinte er. »Dennoch, er hätte eine Adresse hinterlassen sollen. William ist sehr wütend auf ihn. Er sollte nur ein Jahr wegbleiben, also bis Februar, und nun muss er sich sputen, um noch vor der Regenzeit nach Hause zu kommen.« »Nun, er weiß ja nicht, dass Pop krank ist. Die beiden Telegramme hat er offensichtlich nicht erhalten. Wird er denn hier gebraucht?« »Nein, im Augenblick laufen die Geschäfte ziemlich ruhig. Ich informiere William per Post über die Entwicklungen, allerdings bekommt er meistens mehrere meiner Briefe auf einmal.« William schrieb alle paar Tage an Harriet, doch auch diese Briefe, die wenig Neues enthielten, trafen bündelweise ein. Leo hatte gut reden, William werde derzeit hier nicht gebraucht. Was war denn mit ihr? Zählte sie denn überhaupt nicht? Das Tennisspiel bot ihr die einzige Abwechslung in diesen langen, trüben Wochen, doch allmählich wurde sie auch das leid. Es machte keinen Spaß, die Gespräche der anderen über Feste und Feiern zu hören, zu denen sie nicht eingeladen wurde. Dann hatte sie eine gute Idee. Sie würde eine
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