Tal der Traeume
glaube, dass deine Frau und dein Sohn ein Verhältnis miteinander haben. Du solltest wissen, dass auch andere Leute bereits diesen Verdacht geäußert haben. Ich denke, dies betrifft auch mich, da meine Nichte davon betroffen ist und unter dem Verhalten deines Sohnes leidet…
Er konnte nicht weiterlesen. Traurig zerriss er den Brief und warf ihn in den Papierkorb. Dann schaute er aus dem Fenster, ohne etwas wahrzunehmen. »Ich weiß, Maudie, ich weiß es doch«, flüsterte er unglücklich. »Ich hatte nur gehofft, dass es niemand außer mir merkt.« Er wusste es schon länger. Wie hatte er sich überhaupt einen Moment lang täuschen können? Zuerst hatte er sich eingeredet, er sei ein eifersüchtiger alter Mann. Sie sollten schließlich Freunde werden, er hatte sie zusammengebracht, alles war seine Schuld. Doch was hätte er tun sollen? Nie hätte er damit gerechnet. Er liebte beide so sehr, und sie hatten ihn betrogen. Myles war von Anfang an gegen die Heirat eingestellt gewesen, vielleicht hatte er Harriet mit voller Absicht verführt. Doch er schüttelte den Kopf. Dazu gehörten immer zwei. Er war auch nicht sicher, wie weit die Affäre schon gediehen war. Flirteten sie nur, oder war es schon mehr als das? Tief im Herzen kannte William die Antwort. Er hatte die Zärtlichkeiten gesehen, die verstohlenen Blicke, das ganze Balztheater, das zu einer Affäre gehörte. Und er hatte begonnen, die Diener zu beobachten. Ihr Verhalten Harriet und Myles gegenüber grenzte an Feindseligkeit, die sie nur unzureichend hinter ihren lächelnden Gesichtern und dem fröhlichen Geplapper verbargen. Sie wahrten wegen ihm den Schein, aus einem Gefühl der Loyalität heraus, wie auch er den Schein wahrte, während sich der Zorn in ihm anstaute. »Verdammt!«, schrie er schließlich, froh, dass Leo das Büro verlassen hatte. »Verdammte undankbare Narren!« Die ganze Zeit hatte er sich unter Kontrolle gehalten, Zorn und Enttäuschung verborgen, gehofft, dass er sich irre, dass die Sache im Sande verlaufen werde, während sie ihm in Wahrheit das Herz brachen. Das war das Schlimmste daran. Lucy mochte zwar leiden, doch sie war jung und würde darüber hinwegkommen. Er selbst hingegen empfand den gleichen Schmerz wie damals, als er seine geliebte Emily May verloren hatte. Seine Trauer lebte wieder auf, denn Emily May hätte sich niemals so gegen ihn gewandt. Maudie wusste also Bescheid, und andere hegten den gleichen Verdacht. Jetzt musste er, der gehörnte Ehemann, etwas unternehmen. Aber was? Sie zur Rede stellen? Und wenn sie es nun abstritten? Und wenn nicht? »Jesus!«, rief er, den Tränen nahe. William hatte Angst, sich vor ihnen zum Narren zu machen. Seine angegriffenen Nerven würden der Situation nicht standhalten. Er zog die Schreibtischschublade auf, wollte die Whiskyflasche herausholen und schob sie rasch wieder zurück. »Das darf nicht wieder anfangen. Irgendwie muss ich die Sache durchstehen. Verdammt!« Der Zorn war ungefährlicher und befreiender. Er ging die verschiedenen Möglichkeiten durch. Zorn würde den Tränen Einhalt gebieten. Er könnte nach Hause gehen und Myles hinauswerfen. Samt Harriet. Warum nicht? Dann hätte er die Sache in der Hand. Sollten sie ihre Geschichte doch erzählen. Und dann? Sollte er dabei zusehen, wie sie zusammen sein Haus verließen? Sein Haus und den erbarmenswerten Mann darin, der ein leeres Leben vor sich hatte. Die Wände seines Büros schienen auf ihn einzudringen. Er rang nach Luft, konnte kaum atmen. Er ergriff seinen Hut und stürmte ziellos aus dem Büro. Er wollte einfach laufen und nie mehr stehen bleiben. Doch als er an der Kirche vorbeikam, schoss Reverend Walters auf ihn zu. »Mr. Oatley, auf ein Wort bitte! Hat Zack Hamilton schon mit Ihnen gesprochen?« »Nein. Worüber denn?«, fragte William kurz angebunden. Er war nicht in der Stimmung für ein Gespräch mit dem Geistlichen. Mit diesem Mann, der Harriet Oatley jeden Sonntag Treue predigte. Einer Heuchlerin, die sich als gute Christin ausgab. Alles Zeitverschwendung. »Es geht um das Grundstück neben Ihrem. Wir hatten gehofft, Sie würden Ihre Einwände gegen unseren Kirchenbau noch einmal überdenken.« William starrte ihn an, ohne wahrzunehmen, was er sagte. Dann war ihm plötzlich alles egal. »Machen Sie doch, was Sie wollen!«, brüllte er. »Bauen Sie, was Ihnen gefällt. Ich verkaufe das Haus!« Walters überschüttete ihn mit Dank, doch William beachtete ihn gar nicht. Er hatte sich selbst mit dieser
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