Tal der Traeume
verwundert über Numingas Widerwillen. »Hast du dich auf den Stationen in der Nähe umgesehen?«, wollte Numinga wissen. »Vermutlich hat ihn die Polizei bei der nächsten weißen Frau abgeliefert. Es wäre leicht, ihn von dort zurückzuholen.« »Meinst du denn, ich hätte nicht nach ihm gesucht?«, grollte Mimimiadie. »Ich habe alle losgeschickt. Du musst nur nach Pine Creek gehen und nachfragen. Die Weißen wissen alles, sie haben Drähte, mit denen sie Botschaften übermitteln, diese Ticktackmaschinen.« »Und was dann? Soll ich dich hinbringen und gegen Boomi austauschen?« »Nie im Leben! Sie würden mich töten und Boomi behalten. Du musst herausfinden, wo er ist, und mir Bescheid geben. Dann überfallen wir die Weißen und töten sie alle.« Numinga appellierte an die Ältesten, die mit versteinerten Mienen um das Lagerfeuer hockten. »Versteht ihr denn nicht, dass es unmöglich ist? Die Polizei kennt mich. Sobald sie mich erspähen, sitze ich wieder im Gefängnis, wo ich niemandem nützen kann. Das mit Boomi tut mir Leid, ich würde euch gerne helfen, aber es ist zu schwierig. Ihr solltet die Geister um besseren Rat bitten. Aber ich bin euch dankbar, dass ihr mich aus dem Gefängnis befreit habt.« »Wir könnten dich zurückbringen«, knurrte Mimimiadie. »Sie sagen, es ist jetzt geschlossen. Man würde dich erst nach der Regenzeit finden.« Numingas Magen verkrampfte sich vor Angst, doch nach außen gab er sich unverzagt. »Würde Boomi dadurch zurückkehren?«, knurrte er. »Macht keinen Unterschied«, meinte Mimimiadie achselzuckend, und Numinga wusste, dass die Drohung ernst gemeint war. Und noch gefährlicher als die klare Aussage der alten Zauberer, er müsse mithelfen, sonst käme die Strafe der Geister auf ihn hernieder. Mit anderen Worten, einer von ihnen würde mit dem Knochen auf ihn zeigen, so dass er verdorrte und starb. Das war vermutlich auch nicht schlimmer als Mimimiadies Drohung mit dem verlassenen Gefängnis. »Ich brauche bessere Kleider«, sagte er schließlich. Sofort holten sie ein rot kariertes Hemd, Arbeitshosen, Stiefel, einen Hut aus ungegerbtem Leder und sogar eine Viehpeitsche hervor. »Und ein Pferd.« »Das Pferd kommt«, sagte Garradji, der Sprecher des Ältestenrates. »Ohne Sattel und Zaumzeug komme ich allerdings nicht weit«, entgegnete Numinga, doch auch daran hatten sie gedacht. Eine Frau schnitt ihm den langen, grau melierten Bart ab und rasierte ihn mit Pflanzenseife und einem scharfen Stein. Sie kürzte auch die Augenbrauen und schnitt sein Haar auf Ohrlänge ab. Numinga meinte, in Garradjis tränenden Augen ein seltenes Aufblitzen von Heiterkeit zu bemerken.
Die Frau spie in eine Kürbisflasche, mischte eine Paste und trug sie auf sein Haar auf. »Was tust du da?«, erkundigte er sich. »Ich mache dich jung. Dein Haar sieht jetzt nicht mehr alt aus«, grinste sie. Er bemerkte, dass die Paste schwarz war. Eigentlich färbten sich nur weibische Männer die Haare. Mimimiadie war begeistert. »Du siehst ganz anders aus. Hätte dich vielleicht gar nicht erkannt. Und jetzt los.« »Wohin?« »Zur Schlucht. Dort kampieren wir. Am selben Ort. Gopiny wartet auf uns, und Garradji kommt auch mit, damit du nicht wegläufst.« Numinga betastete sein glattes Gesicht und fragte sich, wie er wohl aussehen mochte. Sein Leben lang hatte er einen Bart getragen, genau wie sein Vater, und er fühlte sich ganz nackt. Er wandte sich an Garradji. »Nun bin ich ein neuer Mann. Bitte die Geister, mir Weisheit für diesen Auftrag zu geben, denn ich bin nur ein schwacher Mensch.« »Du bist mehr als das«, erwiderte Garradji tonlos. »Für mich bist du neu, aber ich habe dich beobachtet. Du trägst die Geister und die Weisheit in dir.« Er sah Mimimiadie an. »Du irrst dich. Du sagtest, der Mann sei ein Krieger.« »Er hat einen Weißen getötet. Das ist eine Tatsache.« »Aus Gerechtigkeit, denke ich. Ihr beide passt nicht zusammen, aber nun gibt es kein Zurück. Wir müssen den Jungen finden. Sie haben schon so viele unserer Kinder mitgenommen. Dieses ist eins zu viel.« Erst jetzt verstand Numinga, dass Mimimiadie trotz aller aggressiven Pläne, die man diskutiert hatte, diese Unternehmung nicht anführte. Sein Magen zog sich erneut zusammen. Die alten Männer wollten ein Zeichen setzen, und er stand zwischen den Fronten.
Während er in der grauenhaften Hitze durch die kleine Siedlung Pine Creek ging, fragte sich Numinga, weshalb die Weißen sich dieses Leben antaten. Zugegeben, es
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