Tal der Traeume
dem Gedanken, vom Pferd zu steigen und sich einen Unterschlupf zu suchen, wurde er nervös, hatte aber keine andere Wahl. Mittlerweile wünschte er sich, Zack wäre statt seiner geritten. Wenn Yorkey nun mit den Wilden unter einer Decke steckte und er ebenfalls gefangen genommen wurde? Myles verbrachte die längste Nacht seines Lebens. Er traute sich nicht, Feuer zu machen, und aß seinen Proviant kalt. Er gab dem Pferd zu trinken, lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Baum, eingewickelt in seine Decke, und kämpfte gegen den Schlaf. Bei jedem Geräusch in der undurchdringlichen Finsternis fuhr er zusammen und griff nach dem geladenen Gewehr auf seinem Schoß. Ihm fiel ein, dass Zack auf dem Heimweg in der Nähe der Schlucht mit dem Speer überfallen worden war. Die Angst regte seine Fantasie an, er vermeinte, schwarze, bemalte Gestalten im Gebüsch zu entdecken. Er feuerte das Gewehr ab, lud nach, feuerte wieder und starrte wie blind in einen Wald von Geistereukalyptus. Dann setzte der Regen ein. Myles hätte sich ein Schutzdach aus Laub bauen sollen, doch sein Gespür für den Busch hatte ihn verlassen. Er saß im Schlamm und betete, die Dämmerung möge ihn von dieser Qual erlösen. Er erwachte vom Summen unzähliger Fliegen, und als er sie beiseite schlug, berührte er eine riesige Spinne, die gerade in seinen Kragen kriechen wollte. Er schleuderte sie weg und sprang hoch, wobei ihn die Morgenhitze wie ein Hammerschlag traf. Es war lange her, dass Myles auf dem harten Boden geschlafen hatte, und nun bezahlte er den Preis für die Bequemlichkeit. Er fühlte sich unausgeruht und steif vom Reiten und war hungrig, doch der Regen zerstörte jede Aussicht auf ein warmes Frühstück. Er ließ das Pferd grasen und aß Brot, kaltes Fleisch, Käse und harten Zwieback, der nach Kuhmist roch. Als er wieder auf der Straße war, fragte er sich, was er überhaupt hier draußen machte. Von Anfang an hatte er sich über Zacks Haltung geärgert, der tat, als sei er der Boss und Williams Sohn nur eine Nebenfigur. Was Myles jedoch am meisten störte, war die Tatsache, dass sein Vater Yorkey zu Zack geschickt hatte und nicht zu ihm. Die Hamiltons hatten getan, als sei das völlig normal, doch was mochten sie hinter seinem Rücken reden? Was hatte William ihnen ausrichten lassen? Dass er sich nicht auf seinen Sohn verlassen könne? Dabei kannte er diese Straßen so gut wie jeder andere. Schließlich war er im Territorium aufgewachsen!
Mit dem Tageslicht kehrte auch sein Selbstbewusstsein wieder, und er legte bis zum Mittag vierzig Meilen zurück. Doch da er nicht wusste, wo Yorkey steckte, machte es keinen Sinn, weiterzureiten. Er befand sich vermutlich in der Nähe der Schlucht, und was konnte er in dem gefährlichen, von kriegerischen Schwarzen bewohnten Terrain, das dahinter lag, allein ausrichten? Yorkey hatte gesagt, Mimimiadie befinde sich in Begleitung von fünf wilden Männern. Sechs gegen einen, dazu noch Yorkey als unbekannter Faktor. Als er sich über einen Weg aus rotem Schlamm mühte, entdeckte Myles Dingospuren. Ihm fiel ein, dass sich weiter rechts ein Ausguck in Form eines unvermittelt aufragenden Felsens befand. Vor Jahren war er einmal mit seinem Vater dort hinaufgestiegen. Die Aborigines nannten ihn »Ort wo Dingos heulen« oder so ähnlich, doch für Myles und seine Freunde war es immer nur der Dingo-Ausguck gewesen. Er entschied, hinaufzuklettern und sich umzuschauen. Dieses Vorhaben verlieh ihm neue Kraft. Von dort oben konnte man die ganze Ebene überblicken bis hin zu den massigen Hügeln, hinter denen sich die Schlucht verbarg. Mit etwas Glück konnte er Yorkey oder andere Reisende entdecken, die ihm helfen würden. Dennoch, er hätte von Beginn an die Polizei hinzuziehen sollen, denn Mimimiadies Ruf war ungeheuerlich. Es war Wahnsinn, ihm zu vertrauen. Sobald er sein Kind zurück hatte, würden alle Zusagen wertlos sein.
Die rauchfarbenen Wolken hingen tief, die Sonne blitzte nur gelegentlich hindurch, doch es war immer noch brütend heiß. Myles wischte sich mit einem Taschentuch über das Gesicht und trank den Rest des Wassers aus der Feldflasche. Als er sie wegpackte, vermeinte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung zwischen den Bäumen an der Straßenbiegung zu entdecken… Pferde, bestimmt hatte er Pferde gesehen! Er preschte los, brach durch die Büsche – und fand sich einigen Stieren gegenüber. Sie schauten ihn drohend an, rührten sich aber nicht von der Stelle. Vorsichtig wandte er sich von den
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