Tal der Traeume
ausrichten.« »Aber ein unschuldiges Kind! Er hat ihnen nichts getan!« »Mein Bruder ist auch unschuldig«, sagte Gopiny und wich aus, als Mimimiadie sich zornig auf ihn stürzen wollte. »Halt den Mund, dein Bruder ist ein erwachsener Mann, aber Boomi ist erst sechs. Ich finde diese Polizisten und töte jeden einzelnen dieser dreckigen Feiglinge, dieser Mistfresser. Wenn sie meinem Sohn etwas zuleide tun, erwürge ich sie mit bloßen Händen…« Er stampfte davon, hinaus in den Regen, wobei er weitere Flüche und Drohungen ausstieß. »Meinst du, er ergibt sich?«, fragte Gopiny. »Wohl kaum. Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht. Sie würden ihn am nächsten Baum aufknüpfen.« »Es heißt, sie dürften keine Schwarzen mehr aufhängen.« »Dann erschießen sie ihn eben. Sie werden Boomi ohnehin nicht zurückgeben. Er wird irgendwo bei Weißen aufwachsen.« »Glaubst du nicht, dass sie ihn auch töten?« »Nein. Und deinen Bruder vermutlich auch nicht. Aber das ist kein Trost, denn sie werden ihn einsperren, bis er verrückt wird. In diesen Gefängnissen wird jeder verrückt.« Gopiny schauderte. »Ich will das nicht hören. Aber wie können sie Boomi denn überhaupt zurückgeben, wenn sie seinen Vater verhaften? Wem wollen sie den Jungen geben?« Matong grinste hinterhältig. »Dir. Du gehst mit Mimimiadie hin, lässt ihn bei der Polizei und nimmst den Jungen in Empfang. Du kannst ihn zum Volk zurückbringen.« »Aber sie könnten mich auch verhaften.« »Stimmt genau, deshalb kann Mimimiadie sich nicht stellen, so sehr er seinen Sohn auch lieben mag. Es ist eine Falle, und er weiß es.« Sie grübelten lange, besprachen das Problem ausführlich, und Matong zeigte schließlich die beiden einzigen Möglichkeiten auf. »Mimimiadie könnte aufgeben und darauf vertrauen, dass sie den Jungen zu seinem eigenen Volk zurückschicken.« »Da mache ich mir keine großen Hoffnungen«, seufzte Gopiny. »Oder er lässt sich Zeit, sucht den Jungen und versucht ihn zu retten.« »Darüber haben wir bereits gesprochen. Die weißen Männer sind zu schlau. Sie haben den Jungen gut versteckt, weit weg von hier. Wir finden ihn nie. Wir wissen gar nicht, wo wir suchen sollen.« »Dann muss er begreifen, dass wir machtlos sind.«
Mimimiadie kehrte am späten Nachmittag zurück und war in so gefährlicher Stimmung, dass seine Freunde äußerst behutsam mit ihm umgingen. Sie hatten eine gute Mahlzeit bereitet und boten ihm die größte Portion an. Gopiny versprach, am nächsten Morgen auf Nahrungssuche zu gehen, wie Numinga es ihn gelehrt hatte, obgleich das eigentlich Frauenarbeit war. »Numinga. Wohin ist er gegangen? Auch zurück zum Fluss?«, fragte Mimimiadie unvermittelt. »Nein. Er ist allein losgezogen.« Mimimiadie runzelte die Stirn. »Sohn einer Krähe. Geht auf Wanderung, wenn ich ihn brauche.« »Wozu?«, wollte Gopiny wissen. »Weil er Englisch spricht, du Dummkopf.« Gopiny nickte, obwohl er keine Ahnung hatte, weshalb dies von Bedeutung sein sollte. Außer… er nahm allen Mut für diese Frage zusammen. »Wieso? Du hast doch nicht vor, dich zu stellen?« »Hältst du mich für dumm?«, knurrte Mimimiadie. »Ich stelle mich nicht. Ich ergebe mich diesen Schweinen nicht. Ich würde meinen Sohn nie wieder sehen, und sie lassen ihn nie nach Hause gehen.« Gopiny war voll des Mitleids. »Es ist furchtbar, Mimimiadie. Wir teilen deinen Schmerz, aber es scheint keine Lösung für das Problem zu geben, vor dem du stehst.« Mimimiadie stand auf, trat an den Eingang der Höhle und ließ seine Muskeln spielen. »Wer sagt das? Ich werde sie in die Knie zwingen. Ich will meinen Sohn zurück. Wartet nur ab.«
Die Nachricht verbreitete sich. Eine geheime Männersache. Nur wenige hoch geachtete Älteste erfuhren den Grund, doch das reichte aus. Sie gaben ihre Anweisungen an Leute weiter, die auf Stationen oder im Busch lebten, oder sogar an ganze Clans, die sich auf der Wanderung befanden, gehorsam die traditionellen Routen entlang zogen, um dem Land ihre Achtung zu bezeugen. Die Verbindungen zwischen den Aborigine-Stämmen, Clans und Familien des Territoriums waren denen der weißen Siedler haushoch überlegen, denn ihr System war in Jahrhunderten gewachsen. Die Ältesten gehorchten begeistert, denn in diesen Tagen kam es nur noch selten vor, dass derart dringliche Nachrichten zu ihnen gelangten.
Der Name wurde geflüstert, weitergetragen; Läufer brachten ihn in Lager, von denen aus er weiterflog, so dass sich das Netz
Weitere Kostenlose Bücher