Tal ohne Sonne
zum Wärmen – für die Papuas war der frühe Morgen kalt.
Der erste, der in dem Türloch des Hauses zwei erschien, war Pater Lucius. Er reckte sich, gähnte kräftig, schlenkerte mit den Armen und bemerkte dann erst Zynaker und Leonora. Er kam die Treppe herunter und gähnte noch einmal kräftig. »Hat euch auch der Hornruf geweckt?« lachte er, aber noch mit Müdigkeit in der Stimme. »Ich habe lange nicht schlafen können. Mich haben die Operationen beschäftigt.«
»Welche Operationen?« fragte Leonora erstaunt.
»Ach ja, das wissen Sie noch nicht, woher auch!« Pater Lucius blickte zu den breiten Waschtrögen hinüber, an denen die Frauen und Kinder sich drängten.
Vor ihren Häusern warteten die Männer, um sich nach den Frauen zu waschen. Auch bei den Uma zeigte sich eine gerade bei den Naturvölkern verblüffende soziale Ordnung: Ein Krieger ist ein Held, aber regieren im Haushalt und im täglichen Leben tun die Frauen. Sie sind es auch vor allem, die ihre Männer antreiben, möglichst viele Köpfe der Feinde zu erbeuten – kein Jüngling wird bei seiner Braut Gehör finden, wenn er ihr nicht vor der Hochzeit einen Kopf zu Füßen legt. Und die Frauen sind es auch, die hohnlachend ihre Männer nach einem Kriegszug empfangen, wenn sie zu wenig Köpfe mitbringen.
»Wir werden uns sicherlich auch in den Trögen waschen müssen«, sagte Pater Lucius. »Da man hier keine Krätze kennt, macht's mir nichts aus.«
»Was war heute nacht?« ließ Leonora nicht locker.
»Pepau hat gezeigt, was er auf der Universitätsklinik gelernt hat und daß ein guter Arzt in ihm steckt. Er hat neun Verwundete operiert.«
»Was hat er?« Leonora starrte Pater Lucius ungläubig und entsetzt zugleich an.
»Operiert.«
»Das kann er doch gar nicht!«
»Und wie!«
»Er hat doch sein klinisches Praktikum noch vor sich!«
»Dann ist er ein ausgesprochen begabter Junge«, sagte Zynaker.
»Um Gottes willen! Wenn nur einer der Verletzten stirbt, ist es mit uns vorbei!« Leonora fuhr sich entsetzt mit beiden Händen durch die Haare. »Warum habt ihr mich nicht gerufen?«
»So wenig, wie Sie ins Männerhaus dürfen, so wenig dürfen wir ins Frauenhaus. Ich hielt es für eine gute Sache.« Pater Lucius zeigte auf die Waschtröge. »Ein Platz ist frei! Wollen Sie zuerst, Leonora?«
»Mir ist nicht ganz klar, ob sich auch Götter waschen«, warf Zynaker ein.
»Sollen wir nach einer Woche wie stinkende Schweine herumlaufen?«
»Ich sehe erst nach den Verletzten.« Leonora wollte gehen, doch Zynaker hielt sie am Arm fest. »Du kannst nicht in das Männerhaus!« Er duzte sie wieder, und wieder schien Pater Lucius es nicht wahrzunehmen.
»Ich bin Ärztin.«
»Das mach mal denen klar. Zuerst bist du eine Frau.«
»Eine unbekannte, fremde weiße Göttin. Darf man eine Göttin festhalten?« Sie wollte sich aus Zynakers Griff losreißen, als Schmitz aus dem Haus kam und sich wie Pater Lucius zunächst einmal reckte. Dabei fiel sein Blick auf Leonora, und er winkte ihr zu. »Der kann was erleben!« sagte sie giftig.
Zynaker ließ sie los, aber er folgte ihr, als sie mit schnellen Schritten zu Schmitz lief. »Sind Sie verrückt, Pepau?« rief sie, noch bevor sie vor ihm stand. »Was haben Sie da für einen Blödsinn gemacht?«
»Chefin, ich habe vielleicht neun Leben gerettet. Ist das Blödsinn?«
»Sie haben doch noch gar keine Erfahrung in Operationen.«
»Ich habe nicht operiert, ich habe lediglich eine Wundbehandlung gemacht. Ich würde mir nie erlauben, eine Kolostomie anzulegen, zum Beispiel.«
»Es sind aussichtslose Fälle, sagt Pater Lucius.«
»Wenn man sie mit weißen Vogelfedern, einem Pflanzenbrei und Menschenzähnen oder Fingergliedern heilen will, bestimmt.«
»Wir gehen jetzt sofort zu den Verletzten, und ich sehe sie mir an.«
»Leonora –«, sagte Zynaker warnend.
»Ich gehe ins Männerhaus!« Sie stampfte mit dem Fuß auf, und verblüfft sah Zynaker, wie wütend sie werden konnte. »Wo ist Samuel?«
»Er schläft noch.«
»Pepau, wecken Sie ihn! Er muß dolmetschen.«
»Er hat sich in der Nacht tapfer gehalten.«
»Aber auf die Idee, mich zu holen, ist keiner gekommen?«
»Ich wollte Sie schlafen lassen, Chefin. Sie hatten Erholung nötig.« Er zuckte mit den Schultern, wandte sich ab und ging zum Männerhaus, um Samuel zu holen.
Zynaker schüttelte den Kopf. »Du hast ihn sehr getroffen. Anstatt ihn zu loben –«
»Es hätte verdammt schiefgehen können.«
»Der Junge hat es gewagt. Er wußte,
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