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Tal ohne Sonne

Tal ohne Sonne

Titel: Tal ohne Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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was passiert, wenn er versagt. So viel Mut hätte ich – glaube ich – nicht gehabt.«
    Schmitz kam vom Männerhaus zurück, hinter sich den krummbeinigen Samuel, der, Böses ahnend, sich vor Leonora tief verbeugte. »Massa, ich wünsche einen schönen Tag.«
    »Das wird sich zeigen.« Sie warf einen Blick auf den wirklich beleidigten Schmitz. »Gehen wir?«
    Zynaker folgte ihnen mit vier Schritten Abstand und war gespannt, was sie am Männerhaus erwartete. Nun waren auch Reißner und Kreijsman aus dem Bau gekrochen und beobachteten erstaunt und fragend Leonoras Marsch.
    Reißner begriff sehr schnell, was sich da abspielte. »Chefvisite«, sagte er gedehnt. »Aber die hört vor der Haustür auf. Wetten?«
    »Sieht so aus, als wenn Leonora wütend ist«, stellte Kreijsman fest.
    »Stinkwütend! Pepau hat ihr die Schau gestohlen. Das große medizinische Hoppla wollte sie selbst veranstalten. Jetzt bleibt ihr nur die Visite übrig.«
    Vor dem Männerhaus eins stand wieder der große, stumme Papua-Krieger mit seinem langen, federgeschmückten Speer. Man sah ihm nicht an, ob er geschlafen oder die ganze Nacht gewacht hatte. Wortlos hob er seinen Speer, hielt ihn waagerecht und versperrte damit den Eingang ins Haus.
    »Hab' ich's nicht gesagt?« rief Reißner und stieß Kreijsman an. »Eine Ärztin hat's immer schwer in einer Männergesellschaft, schon bei uns Zivilisierten. Und erst recht hier in der Wildnis.«
    Leonora war vor dem großen Krieger stehengeblieben. Sie sahen sich stumm an, und jeder hielt dem Blick des anderen stand. Es war ein lautloser Machtkampf, die Waffen waren die Augen.
    »Samuel, sag ihm, ich bin die Göttin der Heilkunst. Ich will sehen, was mein Helfer gemacht hat.«
    »Kann man das nicht anders ausdrücken?« fragte Schmitz pikiert. »Weniger herabwürdigend.«
    »Nein, sonst begreift er es nicht.«
    Samuel übersetzte und wartete. Der Krieger blieb stumm, der Speer sperrte weiter das Türloch.
    »Sag ihm, wenn seine Freunde überleben sollen, muß ich die Wunden sehen.«
    Samuel übersetzte.
    Der Papua wandte den Blick nicht von Leonora, sein bemaltes Gesicht blieb unbeweglich, eine bunte Maske. Dann plötzlich ging ein Ruck durch den muskelbepackten Körper, der Speer zuckte empor und gab die Tür frei. Der Uma sagte ein paar halblaute, kehlige Worte.
    »Wir können eintreten, wenn alle Männer das Haus verlassen haben.«
    »Dann soll er sie schnell an die Luft setzen.«
    »Vorher muß ich Sie noch warnen, Chefin.« Schmitz dachte an die Knochengirlanden, die faulenden Fleischfetzen, den Verwesungsgeruch, die blank gescheuerten Totenschädel und die von der Decke hängenden Beutel mit Menschenfett. »Sie müssen starke Nerven haben, wenn Sie gleich eintreten. Sie werden Sachen sehen, die nie mehr aus Ihrem Gedächtnis verschwinden werden. Ein Schrumpfkopf ist noch harmlos und ästhetisch dagegen.«
    »Ich habe gute Nerven, Pepau. Wäre ich sonst hier?«
    Aus dem Männerhaus stiegen die letzten Uma, musterten mit finsteren Blicken die weiße Göttin und stellten sich seitlich der Balkentreppe auf. Der große Krieger trat zur Seite. Der Weg war frei.
    »Sie hat's erreicht!« rief Reißner auf den Stufen von Männerhaus zwei. »Sie darf tatsächlich hinein! Die kann mit dem Kopf durch die Wand! Und ich prophezeie Ihnen, Fred: Die findet auch den Kopf ihres Vaters. Das ist ein zähes Luder!«
    Leonora, Schmitz und Samuel gingen in das Männerhaus. Der widerliche, atemnehmende Gestank aus Verwesung und Schweiß schlug ihnen entgegen und legte sich fast ätzend auf ihre Kehlen. Leonora hielt unwillkürlich den Atem an. In dem Halbdunkel, das jetzt die weite Halle erhellte, erblickte sie auch die schrecklichen Knochengirlanden und die blankgescheuerten Totenschädel der Almen.
    Schmitz schluckte mehrmals. Obwohl er den Anblick kannte, huschte ein Schauer über seine Haut. »Ich habe Sie gewarnt, Leonora«, sagte er leise.
    »Wo sind die Verwundeten?«
    »Ganz hinten, links, in der Nische an der Wand.«
    Sie ging tapfer weiter, sah nur aus den Augenwinkeln die Menschenknochen und die Säckchen mit dem fettigen Inhalt, von dem sie noch nicht wußte, was er bedeutete, und blieb vor den regungslos auf dem Rücken liegenden Verletzten stehen. Sie hatten die Augen aufgeschlagen und starrten mit deutlichem Entsetzen die weiße Frau an. Schmitz kniete nieder und kontrollierte die Drainagen. Sie funktionierten, stinkendes Sekret sonderte sich durch sie ab. Das Fieber war gesunken, aber noch nicht

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