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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Kleiderfarben. Aber diese Brandzeichen, die sind typisch für Gangs aus dem Reservat.«
    Â»Ich verstehe nicht«, sagte Neil, »warum es unbedingt eine Gang sein musste. Wir Lakota sind doch eine Gemeinschaft mit eigenen Farben, Symbolen und einer eigenen Sprache. Warum hat ihm das nicht genügt? Und wenn er unbedingt seine Tapferkeit zeigen wollte, warum hat er sich dann nicht für den Sonnentanz verpflichtet und ein Fleischopfer gebracht? Sein Vater wäre sicher stolz auf ihn gewesen.«
    Für einen Augenblick sagte niemand etwas.
    Â»Alles ist meine Schuld«, bekannte Tante Charlene nach einer Weile. Wir sahen sie fragend an.
    Â»Alles ist meine Schuld«, wiederholte sie mit belegter Stimme. »Wir waren eine gute Familie, solange Frank noch lebte. Aber dann kam er im Zinksarg aus dem Irak zurück und nichts war mehr wie zuvor. Ich war wütend auf Frank, weil er uns im Stich gelassen hatte. Ich war nicht für Marlin da, der den Tod seines Vaters nicht verkraftete. Anstatt Halt im Glauben unseres Volkes zu suchen, wandte ich mich von ihm ab. Ich habe meinen Schmerz zu betäuben versucht, indem ich die Wirklichkeit nicht mehr an mich herangelassen habe.« Sie seufzte, sprach aber gleich weiter.
    Â»Marlin, der von seinem Vater traditionell erzogen worden war, wusste nicht mehr, was er glauben sollte. Indem ich mich lustig machte über die Wirksamkeit unserer Zeremonien und unseren spirituellen Glauben, nahm ich ihm den letzten Strohhalm, an den er sich klammern konnte. Er hatte keine Familie mehr, keinen Glauben. Also suchte er sich eine neue Familie und einen neuen Gott.«
    Â»Wenn Marlin aus dem Krankenhaus kommt«, sagte Tom, »dann könnt ihr ja noch mal versuchen, einen gemeinsamen Weg zu finden.«
    Die beiden Polizisten erhoben sich und Officer Kenny Shortbull sagte: »Wir würden jetzt gerne noch das Zimmer Ihres Sohnes sehen, Mrs Running Horse.«
    Ich war seit Jahren nicht mehr im Zimmer meines Cousins gewesen, er hatte es immer abgeschlossen. Auch jetzt standen Charlene, die Polizisten, Tom, Neil und ich vor verschlossener Tür.
    Â»Haben Sie keinen Schlüssel«, fragte Shortbull stirnrunzelnd.
    Meine Tante schüttelte den Kopf. »Nein. Nur er hat einen.«
    Officer Horn Cloud holte einen großen Schlüsselbund aus dem Wagen, und schon bald hatten sich die Polizisten Zugang zu Marlins Zimmer verschafft. Ich blieb mit Tom und Neil in der Tür stehen, während sie Marlins Sachen durchsuchten. Staunte darüber, wie ordentlich das Zimmer meines Cousins war. Es lag nichts herum, er hatte sogar sein Bett gemacht. Das brachte nicht einmal ich jeden Tag fertig.
    An der Wand über seinem Bett hing ein Poster von Sitting Bull und ein Druck von einem Gemälde, das ein bekannter Lakota-Künstler gemalt hatte. Daneben ein paar Fotos von indianischen Rockstars, die er aus alten Zeitschriften ausgeschnitten hatte. Darunter auch eins von John Trudell und Blackfire, meiner Lieblingsrockband.
    Die Polizisten waren sichtlich irritiert, genau so wie Tante Charlene und ich natürlich. Aber sie brauchten nicht lange suchen, um auf ein ganzes Arsenal Handfeuerwaffen samt Munition zu stoßen und eine Messerkollektion, die mir die Knie weich werden ließ. Kenny Shortbull schien Erfahrung zu haben, was Verstecke betraf, denn er fand auch ziemlich schnell Marlins Marihuanadepot.
    Und sie fanden noch etwas. Es war mein Zopf, von dem ich geglaubt hatte, dass ich ihn verloren hätte. Marlin musste ihn gefunden und an sich genommen haben. Mit größerer Wahrscheinlichkeit hatte er ihn jedoch aus meiner Jackentasche gestohlen.
    Tante Charlene weinte lautlos. Neil griff nach meiner Hand, die ich dankbar drückte.
    Marlin überlebte die kommende Nacht, er hatte Glück. Aber die Zeit verging, und er wachte nicht wieder auf. Ich begleitete Tante Charlene manchmal ins Krankenhaus, wo sie an seinem Bett saß, auf ihn einsprach und für ihn betete.
    Es ging ziemlich schnell, dass Marlin, der durch eine Magensonde künstlich ernährt wurde, an Gewicht verlor. Sein Gesicht wurde schmaler und die Augen größer. Er sah auf merkwürdige Weise zufrieden aus. Beinahe so, als würde es ihm gut gehen in diesem dunklen Zwischenreich, in dem er sich nun befand. Endlich hatte er Frieden, musste keine Mutproben mehr bestehen, sich keine Brandzeichen machen lassen, als wäre er ein Stück Vieh. Wahrscheinlich war er sogar froh, dass er

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