Talitha Running Horse
worden war.
Das Denkmal war eingezäunt, und angeleint am Zaun stand ein groÃes, mit geheimnisvollen Zeichen bemaltes Pferd. Sein rechtes Auge war mit einem Kreis aus roter Farbe umrandet, und ein roter Blitz führte von der Flanke über das rechte Hinterbein. Eine Adlerfeder steckte in der dichten schwarzen Mähne. Unsere Vorfahren waren der Ãberzeugung, Adlerfedern würden dem Pferd Schnelligkeit und Geschicklichkeit verleihen.
Das Pferd gehörte Lone Bullhead, einem Ãltesten aus dem Standing-Rock-Reservat, der auf uns gewartet hatte. In der ausgestreckten Hand hielt er einen Staff, einen langen Holzstab mit gebogenem Ende, der mit Bisonhaut umwickelt war und den ebenfalls eine Adlerfeder zierte. Wer von nun an die Reiter anführte, würde einen solchen Staff tragen. Es waren heilige Stäbe, die die Gebete vieler Menschen verkörperten.
Wir Reiter stellten uns mit unseren Pferden in einem Halbkreis um Lone Bullhead herum. Aus den Nüstern der Tiere stieg weiÃer Atem, und nur ihr leises Scharren und Schnauben war noch zu hören. Bullhead begann zu erzählen, was sich hier an dieser Stelle vor langer Zeit zugetragen hatte.
Der alte Mann erzählte vom Erstarken der Geistertanzbewegung, einer neuen Religion, die der Paiute-Indianer Wovoka auf einer Vision begründet hatte und die sich damals rasch vom Süden des Landes herauf auszubreiten begann. »Vertreter dieser Religion glaubten, dass sie mit ihren Tänzen den Indianern die weiten Prärien zurückbringen konnten, befreit von allen WeiÃen, dafür besiedelt von groÃen Bisonherden und starken Pferden«, sagte er. »Jemand hatte Sitting Bull von der neuen Bewegung berichtet. Und auch wenn der Lakota-Häuptling zuerst skeptisch war, begann er doch zunehmend Hoffnung zu schöpfen aus dieser Religion. Wenn er zu seinen Leuten sprach, dann schwang neuer Mut in seinen Worten mit.
Aus Angst, der Häuptling könne sich der Geistertanzbewegung anschlieÃen und einen neuen Aufstand der Lakota anführen«, fuhr Bullhead fort, »erteilte der weiÃe Indianeragent von Standing Rock im Dezember 1890 den Befehl, Sitting Bull zu verhaften. Am 15. Dezember wurde die Hütte des Häuptlings von Indianerpolizisten umstellt. Es kam zu einem Tumult, und in der folgenden SchieÃerei zwischen Anhängern des Häuptlings und den Polizisten brach Sitting Bull von mehreren Kugeln getroffen zusammen. Er war unbewaffnet gewesen.«
Bullhead senkte seine Stimme und schwieg eine Weile. Dann sagte er: »AuÃer ihm starben noch einige seiner Leute durch die Kugeln der Indianerpolizisten, aber auch sie selbst hatten Tote zu beklagen.«
Stormy bewegte sich unter mir und schüttelte ihren Kopf, dass der Schnee stiebte. Ich hieà sie stillstehen. In meinen Gedanken war ich bei Häuptling Sitting Bull und seinen Leuten. Männer seines eigenen Volkes waren zum Handlanger des Todes geworden. Wie musste er sich gefühlt haben, als er es begriff, so kurz bevor er selbst von den Kugeln getroffen wurde?
»Man erzählt sich«, sagte Bullhead, »die Indianerpolizisten wären in Tränen ausgebrochen, als sie den Häuptling tot am Boden liegen sahen und ihnen klar wurde, was sie angerichtet hatten. , soll einer von ihnen voller Entsetzen gesagt haben.«
Ein leises Raunen und Gemurmel ging durch die Reihe der Reiter.
»Dieser Ritt ist auch eine Suche nach Versöhnung«, sagte Bullhead.
»Es muss nach mehr als 100 Jahren endlich Versöhnung geben zwischen den Nachfahren der Indianerpolizisten und den Nachfahren Sitting Bulls.« Er hob den Stab mit der Adlerfeder in die Höhe. »Dieser Staff ist Träger von vielen Gebeten, die uns begleiten werden. Ich werde euch ein Stück eures Weges führen und den Stab dann an einen würdigen Träger weitergeben, der ihn nach Wounded Knee bringt.«
Nach diesen Worten sprach er noch ein Gebet auf Lakota und sagte, dass dieser Tag des Rittes der Zukunft unseres Volkes gewidmet war. Dann stieg er auf sein bemaltes Pferd, hielt den Gebetsstab in die Höhe und ritt voran.
Ein Reiter nach dem anderen setzte sich in Bewegung und folgte Lone Bullhead nach, schon überquerten die ersten den gefrorenen Fluss. Für Stormy war es das erste Mal, dass sie Eis betreten sollte, und zu meinem groÃen Schreck weigerte sie sich. Sie ging zuerst seitwärts, dann rückwärts und
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