Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
Vom Netzwerk:
versorgten die Pferde und gingen dann ins Haus, wo eine Truppe von fast dreißig Leuten zusammensaß und auf das lauschte, was John zu erzählen hatte. Er hatte Papiere mit seinem Stammbaum in der Hand und konnte uns nachweisen, dass einer seiner Vorfahren ein Überlebender von Wounded Knee war. Das war ein Grund für ihn gewesen, sich als Organisator für den diesjährigen Ritt zur Verfügung zu stellen.
    Ich sagte kaum ein Wort an diesem Abend, so aufgeregt war ich. Stumm vor Glück, dass ich dabei sein durfte. Immer wieder musterte ich die Gesichter der Anwesenden, lächelte ihnen zu, wenn unsere Blicke sich trafen. Die meiste Zeit hielt ich mich in Neils Nähe auf. Und auch wenn es ihm kindisch vorkommen musste, dass ich ihn verfolgte wie ein kleines Hündchen – es schien ihm nichts auszumachen. Die Nacht verbrachten wir in unseren Schlafsäcken auf dem Boden von Johns Wohnzimmer. In dieser Nacht schlief ich wenig, aber nicht nur, weil meine Unterlage hart war. Es lag an Neils Nähe. Und daran, dass er nicht zu atmen schien. Wenn jemand wirklich schläft, hört man seine gleichmäßigen Atemzüge. Ich wusste das.
    Alle anderen, die mit uns im Raum waren, gaben im Schlaf Geräusche von sich. Am anderen Ende des Raumes furzte jemand. Einer begann zu schnarchen, wurde von seinem Nachbarn angestoßen und fing nach einer Weile wieder an zu schnarchen. Ein anderer redete im Schlaf.
    Nur Neil war so still wie ein Toter. Ich konnte seinen Atem nicht hören. Er bewegte sich auch nicht. Es war so, als wäre er gar nicht da.
    Lag er vielleicht wach, so wie ich? Ich konnte seinetwegen nicht schlafen. Weil ich noch nie neben ihm gelegen hatte. Aber warum schlief er nicht? Ich wünschte, er würde an mich heranrücken und seinen Arm um mich legen. Ich wünschte, er würde mich noch einmal küssen, so wie an meinem Geburtstag. Mir war nicht klar gewesen, dass man sich etwas so sehr wünschen kann …
    Wir starteten am Morgen des 15. Dezember nach einem guten Frühstück auf John Knifes Ranch. Die meisten Pferde waren gesattelt, aber einige Teilnehmer ritten ohne Sattel, so wie Neil und ich. Zu Anfang herrschte noch großes Durcheinander unter den Reitern, aber dann formierte sich der Trupp wie von Geisterhand geführt. Graue Wolken bedeckten den Himmel, und kurze Zeit nachdem unsere Reitergruppe sich in Bewegung gesetzt hatte, begann es, in dicken Flocken zu schneien.
    Die Temperatur lag jetzt ein paar Grad unter dem Gefrierpunkt. Es war also kälter geworden in der vergangenen Nacht, aber nicht sonderlich kalt für Dezember. Jedenfalls, wenn kein Wind wehte.
    Ich war dick eingemummelt in meine Daunenjacke mit der fellumrandeten Kapuze. Unter der gefütterten Hose, die Della mir extra für den Ritt genäht hatte, trug ich Leggings. Meine Füße steckten in Fellstiefeln und die Hände in dicken Handschuhen. Neil war auch warm angezogen, sah aber nicht ganz so verpackt aus wie ich.
    Die Pick-ups mit den Pferdeanhängern und die Wagen der Helfer fuhren voraus, wir folgten ihnen. Rund vierzig Reiter auf einer einsamen, grauen Straße, die ins Nichts zu führen schien. Unser Ziel war jener Ort, an dem Häuptling Sitting Bull vor 114 Jahren ermordet worden war.
    Ganz zu Beginn hatte ich Mühe, Stormy ruhig zu halten. Sie tänzelte aufgeregt umher, wenn ein anderer Reiter auf ihrer rechten Seite erschien, als hätte sie Angst, er könne ihrer Narbe zu nahe kommen. Den Umgang mit fremden Pferden war sie nicht gewohnt, die anderen Tiere verunsicherten sie.
    Neil merkte, dass ich Schwierigkeiten mit meiner Stute hatte, und lenkte Taté zu uns herüber. An der Seite des vertrauten Hengstes beruhigte sich Stormy schnell. Bald folgte sie ihm und den anderen ohne Probleme.
    Einige Meilen ritten wir und ließen die Pferde gelegentlich im Trab laufen. Ich beobachtete die anderen Reiter, versuchte mir ihre Gesichter einzuprägen. Die Hälfte von ihnen waren Kinder und Jugendliche, und ihre Selbstsicherheit ließ mich ahnen, dass nur wenige von ihnen zum ersten Mal dabei waren, so wie ich.
    Nach ungefähr zwei Stunden erreichten wir das Denkmal, das zur Erinnerung an Sitting Bull hier errichtet worden war. Ein einfacher weißer Stein in der Nähe eines dunklen Wäldchens aus kahlem Holz. An dieser Stelle, unweit des Grand River, hatte Sitting Bulls Blockhütte gestanden, in der er von Indianerpolizisten erschossen

Weitere Kostenlose Bücher