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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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lieber allein sterben, Tally. Wenn ein Pferd spürt, dass es sterben muss, zieht es sich von den anderen zurück.«
    Ich machte mich von ihm los und lief weiter. Neil leuchtete mit der Taschenlampe die Baumgruppen und Sträucher ab, und wir folgten den Spuren der Pferdehufe im Schnee.
    Obwohl Neil den Strahl der Taschenlampe in eine ganz andere Richtung lenkte, war ich die Erste, die den dunklen Körper im Schnee liegen sah. Psitó lag neben dem Stamm der alten Holzbirne, an dem sie sich so gerne das Fell gerieben hatte. Ich kniete neben ihr nieder und streichelte ihren Hals. Das dichte Fell war feucht. Doch auch wenn sich der Körper der Stute noch warm anfühlte: Ich spürte das Blut nicht mehr pulsieren.
    Neil richtete den Strahl der Taschenlampe auf Psitós Augen, und in diesem Moment wussten wir beide, dass sie tot war. Ich legte mein Gesicht an den Hals der Stute und dachte daran, wie oft ich auf ihrem Rücken in diese Hügel geritten war. Psitó war mein erstes Reitpferd gewesen, geduldig und ohne jede Launen. Ich hatte ihr viel zu verdanken.
    Als ich Neils Hand auf meiner Schulter spürte, richtete ich mich auf und sah ihn fragend an.
    Â»Komm«, sagte er, »wir müssen zurück. Meine Eltern werden sich sicher schon fragen, wo ich bin.«
    Schweigend machten wir uns auf den Rückweg. Psitó war in einer mondhellen Winternacht unter ihrem Lieblingsbaum gestorben. Sie war alt und krank gewesen. Es war in Ordnung so.
    Â»Was wäre gewesen, wenn sie dagelegen und noch gelebt hätte?«, fragte ich.
    Â»Dann hätte ich Pa holen müssen, damit er sie erschießt«, sagte Neil. Ich war froh, dass Psitó schon tot war, als wir sie fanden. Und nun wusste ich auch, warum Neil nicht gewollt hatte, dass wir nach ihr suchen.
    Am nächsten Tag sah ich die Truthahngeier am Himmel kreisen, über der Stelle, wo Psitó lag. Ich wollte nicht sehen, wie sie sich über den Körper der toten Stute hermachten, aber es zog mich doch magisch in die Hügel. Schon aus der Ferne sah ich Stormy neben dem Stamm der Holzbirne stehen. Die schwarzen Vögel kreisten, aber noch hatte keiner gewagt, seinen Hunger am Fleisch des Pferdes zu stillen. Stormy bewachte den Körper ihrer toten Freundin.
    Ich rief Stormy, aber es dauerte lange, bis sie endlich kam. Mit hängendem Kopf trottete sie heran, und ich gab ihr ein paar Körner, die ich in der Tasche hatte. Lustlos kaute Stormy darauf herum.
    Ich schlang die Arme um ihren Hals und sagte: »Ich weiß ja, dass du traurig bist. Sie war deine beste Freundin. Aber auch Freunde sterben manchmal.«
    Ein leises Wiehern ließ Stormy aufhorchen. Taté hatte sie gerufen. Die Herde war dabei, weiter hinein in die Hügel zu ziehen. Vielleicht wusste der Hengst dort eine Stelle, wo der Schnee nicht so hoch lag oder wo Sträucher wuchsen, die keine Dornen hatten und an denen man knabbern konnte.
    Stormy blies mir ihren Atem ins Gesicht, dann schüttelte sie ihre Mähne und folgte der Herde.
    In der darauf folgenden Nacht fand ich mich in einem merkwürdigen Traum wieder, der so lebendig war wie keiner, den ich zuvor geträumt hatte. Ich ritt ohne Sattel auf Stormy. Es war kalt, so kalt, dass der Atem vor ihrem Maul fror und sich Eiskristalle in ihren gesprenkelten Nüstern bildeten. In Stormys Mähne waren bemalte Federn geknotet, und die Punkte auf ihrer Hinterhand mit roter Farbe umrandet. Die Stute gehorchte mir, und sie gehörte mir, das spürte ich sogar im Traum.
    Es war Nacht, und wir waren ganz allein inmitten der endlosen weiß verschneiten Prärie. Ich wusste nicht, in welche Richtung wir gehen sollten. Aber Stormy schien es zu wissen. Angezogen wie von einem Magnet, bewegte sie sich auf ein unbekanntes Ziel zu.
    Auf einmal sah ich sie, die anderen. Sie waren zu Fuß oder auf müden Pferden unterwegs, die so mager waren, dass man ihre Rippen erkennen konnte. Eingewickelt in Decken und zerlumpte Felle, steuerten sie auf denselben Ort zu, zu dem es auch mich zog. Ein Säugling schrie vor Hunger und ein Kind weinte. Die Mutter tröstete es auf Lakota.
    Und dann hörte ich die Trommel. Dumpfe, gleichmäßige Töne, die über die im Mondlicht glitzernde Prärie wanderten wie ein Ruf. Und diese Menschen folgten dem Ruf. Auch ich folgte ihm.
    Wir kamen über einen Hügel. Im Tal wand sich ein Fluss durch die verschneite Ebene wie eine schwarz glänzende Schlange. Seine

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