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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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sprechen. Es war, als würde jemand eine Schlinge um meinen Hals legen und langsam immer fester zuziehen. Deshalb reichte ich ihm den Brief.
    Leo las. Als er fertig war, nahm er mich wortlos in die Arme und hielt mich eine lange Zeit. So lange, bis mein Körper nicht mehr von Schluchzern geschüttelt wurde.
    Â»Das wird sich sicher schnell aufklären«, sagte er zuversichtlich. »Du musst ganz fest an deinen Vater glauben, Tally. Richard ist Sonnentänzer, er würde niemals stehlen.«
    Leos Trost tat mir gut. Trotzdem wäre ich jetzt lieber allein gewesen, eingeschlossen in meinem dunklen Kellerzimmer. Stattdessen stand ich vor Bernies Laden auf offener Straße und heulte. Alle würden sich fragen, was mit mir los war. Norma von der Post hatte den roten Stempel auf dem Umschlag gesehen und sofort gewusst, was los war. Schon morgen würde jeder in Manderson wissen, dass mein Vater im Gefängnis saß, und im Reservat würden die wildesten Gerüchte die Runde machen.
    Â»Ich muss es Tante Charlene erzählen«, sagte ich. »Aber ich weiß nicht, ob ich das jetzt kann.«
    Â»Na komm«, sagte Leo. »Komm mit rein, ich spendier dir erst einmal eine heiße Schokolade. Du bist ja ganz kalt.«
    Er schob mich in einen kleinen abgetrennten Raum neben dem Laden und drückte mich auf einen Stuhl. »Schön sitzen bleiben«, sagte er. »Ich bin gleich wieder da.«
    In den vergangenen Monaten war ich felsenfest davon überzeugt gewesen, dass der Brand unseres Trailers das Schlimmste war, was ich bisher erlebt hatte. Ich hatte Tante Charlene und meinen Cousin Marlin ertragen, weil ich mir sicher war, dass es bald nur noch besser werden konnte. Schon seit Anfang April wartete ich sehnsüchtig darauf, dass mein Vater endlich wiederkam, um uns ein neues Zuhause zu bauen. Nun, wo ich gehofft hatte, den genauen Tag seiner Ankunft zu erfahren, hielt ich stattdessen einen Brief in den Händen, in dem stand, dass alles noch schlimmer werden würde. Dass mein Vater nicht kommen würde, weil er in einem Gefängnis saß. Verzweifelt kämpfte ich gegen die Mutlosigkeit, die mit voller Wucht über mich hereinbrach. Ich fragte mich, woher ich die Kraft zum Weitermachen nehmen sollte.
    Ich verschränkte die Arme auf dem Tisch, legte meinen Kopf darauf und weinte bitterlich. Meine Angst vor der Zukunft, die Sehnsucht nach meinem Vater, die ganze verdammte Hoffnungslosigkeit brach sich Bahn und strömte in heißen Tränen aus mir heraus.
    Erst als ich mich wieder ein wenig beruhigt hatte, spürte ich die Hand auf meiner Schulter. Ich hob den Kopf und sah einen Becher mit dampfender Schokolade vor mir stehen.
    Â»Danke, Leo«, schluchzte ich.
    Â»Ich habe es deiner Tante erzählt«, sagte er und setzte sich zu mir.
    Â»Sie war natürlich außer sich. Ich dachte, dass es dir gut tun würde, wenn du noch eine kleine Pause von ihr hast. Ich fahre dich dann später nach Hause.«
    Ich nickte erleichtert.
    Leo reichte mir ein Kleenex, und ich trocknete meine Tränen. Tränen lindern den Schmerz, aber sie ändern nichts.
    Ein weiteres Mal musste ich mit einer unerträglich scheinenden Situation fertig werden. Nach vorn sehen und nicht zurück, dachte ich. Doch im Augenblick erschien mir das unmöglich.
    Â»Nun wird es erst richtig schlimm werden«, sagte ich und erschrak über den Ton in meiner Stimme. Ich ahnte, dass ich total verzweifelt klang. »Tante Charlene wird jetzt erst recht auf mir herumhacken, und Marlin hat noch einen Grund mehr, mich zu quälen. Wie soll ich das bloß aushalten?«
    Â»Es tut mir so Leid, was du da durchmachen musst«, sagte Leo. »Ich würde dich ja bei mir wohnen lassen, aber wir sind schon zwanzig Personen im Haus, und ich teile das Zimmer mit zwei meiner Brüder. Bei uns ist wirklich kein Platz. Ich weiß nicht, wie ich dir helfen kann, Tally.«
    Â»Du hilfst mir doch, Leo«, erwiderte ich leise. »Ich bin so froh, jetzt nicht bei meiner Tante sein zu müssen.«
    Ich blieb bei Leo im Laden, bis er Feierabend hatte. Es dämmerte schon, als er mich nach Hause brachte. Von Manderson bis zum Haus meiner Tante waren es nur ein paar Meilen, doch ich wünschte, die Fahrt würde ewig dauern.
    Scooter und Rip bellten freudig, als ich aus Leos Jeep stieg. Sie sprangen an mir hoch, um mich zu begrüßen. Leo stieg auch aus und umarmte mich noch einmal. Dann drückte

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