Talitha Running Horse
wovon er träumte. Leo hatte sich auch jedes Mal nach meinem Vater erkundigt: wie es ihm ging und ob er bald nach Hause käme.
Inzwischen hatten wir uns jedoch fast drei Wochen nicht gesehen, und es gab viel zu erzählen. Stormys Klapperschlangenbiss und meine Rettungsaktion mit den Bleistiften. Die Neuigkeit, dass der weiÃe Anwalt die Verteidigung meines Vaters übernommen hatte, und und und.
Leo hörte aufmerksam zu, dann sprach er von seinen Zukunftsplänen. Er wollte ein Jahr lang auf einer Büffelranch in Montana arbeiten und später auf dem Land seiner Familie selber Büffel züchten.
»Das ist die Zukunft, glaub mir«, schwärmte er voller Begeisterung. »Die Büffel können auf unserem kargen Land auskommen, genau so, wie wir es können. Das Fleisch ist mager und gesund. Wir müssen wieder anfangen unsere Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Was wir essen, ist fett und süà und macht viele von uns krank.«
Ich lauschte seinen Worten, und seine Entschlossenheit faszinierte mich. Als ich den Kuchen aufschnitt, hielt ein Auto vor dem Haus. Ich dachte erst, es wäre meine Tante, aber es war Adena. Sie und Leo waren sich auf dem Sonnentanz vor drei Wochen über den Weg gelaufen und freuten sich nun über das unerwartete Wiedersehen. Von Adena bekam ich einen neuen Traumfänger. Einen, der noch gröÃer und noch schöner war als der, der mit den anderen Dingen im Trailer verbrannt war. Wir aÃen Kuchen, erzählten und lachten. Irgendwann tauchte Marlin auf. Er ging kurz in sein Zimmer, holte etwas und verschwand gleich darauf wieder.
Als wir die Haustür klappen hörten, herrschte erst einmal Schweigen, das von bedeutungsvollen Blicken begleitet war. SchlieÃlich sagte Leo: »Rot und Schwarz. Das sind die Farben der Outlaws.«
»Outlaws?« Stirnrunzelnd sah ich ihn an.
Adena verdrehte die Augen. »Die Outlaws sind eine Gang, Tally. Erinnerst du dich nicht mehr, was der Officer uns erzählt hat?«
»Doch.« Ich nickte. »Und du behauptest, mein Cousin Marlin gehört zu den Outlaws?«
»Sieht zumindest danach aus«, sagte Leo. »Er trägt ihre Farben. Ihr Anführer Harold ist ein ziemlich übler Kerl aus Wounded Knee. Er nennt sich selbst The Rat und sieht auch so aus. Hat schon mehrmals im Jugendgefängnis gesessen wegen schwerer Körperverletzung. Es ist besser, ihr geht ihm und seinen Leuten aus dem Weg, wenn ihr ihnen begegnet.«
»Wie soll ich Marlin aus dem Weg gehen, wenn ich in seinem Haus wohne?«, fragte ich entgeistert. »AuÃerdem hat er sich verändert. Er lässt mich in Ruhe. Ist beinahe â¦Â«, ich suchte nach dem passenden Wort, »⦠freundlich geworden.«
»Freundlich?«, fragte Leo stirnrunzelnd. »Na, gerade eben war er ja nicht besonders freundlich. Tut so, als wären wir gar nicht da.« Er schwieg nachdenklich. Dann sagte er: »Ich bin mir sicher, dass Marlin zu den Outlaws gehört. Und das schon seit ein paar Monaten. Wenn er den Aufnahmetest bestanden hat, müsste er ein Brandzeichen tragen.«
»Brandzeichen?«, riefen Adena und ich wie aus einem Mund.
»Ja, ich habe das mal bei einem von den Jungs gesehen. Ein Kreis mit einem W darin. O und W für Outlaws, eingebrannt in die Haut auf der Brust.«
Adena schüttelte sich und ich bekam eine Gänsehaut. »Das ist ja schrecklich«, sagte ich. »Das muss doch furchtbar wehtun.«
»Tut es auch. Aber das musst du eben aushalten, wenn du dazugehören willst.«
»Keine Ahnung, ob Marlin so ein Brandzeichen hat.« Ich hob die Schultern. Ich hatte meinen Cousin noch nie mit freiem Oberkörper gesehen. Ich traute ihm so etwas auch gar nicht zu. Dafür war er viel zu feige, fand ich.
»Was ist mit seinen Freunden?«, fragte Leo.
Ich hob die Schultern. »Ich kenne seine Freunde nicht. Er bringt sie nie ins Haus. Sie holen ihn immer mit einem gelben Thunderbird unten an der StraÃe ab.«
»Sei froh«, sagte Adena und Leo stimmte ihr kopfnickend zu.
Irgendwann rief mein Vater an, um mir zu gratulieren. Wir sprachen zehn Minuten miteinander, dann musste er auflegen, weil so viele hinter ihm standen, die auch noch telefonieren wollten. Tante Charlene kam wieder, sie war in Rapid City gewesen und hatte eingekauft.
Ich sagte ihr, dass Della mich zum Essen eingeladen hatte, und sie verschwand in ihrem Wohnzimmer hinter dem Fernseher. Leo
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