Talivan (German Edition)
e stellt. Seit aber immer wieder neue Kriege das Land übe r zogen und die jungen Männer stets irgendwann fortgi n gen und nur selten zurückkamen, gingen die auf die Jagd, die schnell und g e schickt genug waren.
Doch obwohl Marjana eine flinke Läuferin war, die Sehne ihres Bogens fest zu spannen verstand und ihr Pfeil die Scheiben aus Stroh sicher traf, kehrte sie nur selten mit Beute zurück; wie durch Zauberhand schien jedes Tier i h re Fallen zu meiden. So schlug der Dorfälteste ihr schlie ß lich vor, stattdessen im See zu angeln, obwohl dies g e wöhnlich als die Aufgabe der älteren Frauen angesehen wurde.
Marjana war sich zuerst nicht sicher, ob es richtig war, wenn sie die Fische aus diesem See fing. Doch bald en t schied sie, es zu versuchen und das Ergebnis als Antwort anzusehen, obwohl sie fast fürchtete, hier ebenso wenig E r folg zu haben wie bei der Jagd. Ihre Sorge jedoch erwies sich als u n begründet: Nach kurzer Zeit schon war ihr Korb so hoch mit Fischen gefüllt, dass sie ihn kaum zum Dor f platz tragen konnte, wo die älteren Frauen beim Zerteilen der Tiere halfen.
Wie an diesem Tag geschah es auch an den nächsten; i m mer kehrte Marjana mit genügend Fischen für all ihre Nachbarn zurück. Fast schien es, als lenke der See die stat t lichsten Tiere genau zu ihrem Haken. Und so sprach bald niemand mehr davon, dass Marjana stattdessen im Wald auf die Jagd gehen solle.
Mit dem Winter kamen die Männer zurück, die der Krieg verschont hatte. In den kürzeren Tagen erlegten die Jäg e rinnen nur selten noch ein Wild, und die Fallen blieben immer öfter leer. Einzig die Zahl der Fische im See schien nie geringer zu werden, denn immer brachte Marjana genug Tiere mit zum Dorfplatz, um den Hunger der anderen Me n schen zu stillen. Auch als die Eisdecke auf dem See so fest wurde, dass sie die junge Frau sicher trug und Marjana an jedem Morgen ein neues Loch ins Eis schneiden musste, fing sie stets so viele Fische, wie sie und ihre Nachbarn b e nötigten. Offenbar trug der Ouwe-Bach stets genügend Ti e re zum See, so dass das Wasser immer voller Fische war.
Als die Tage wieder länger wurden, hatte Marjana sich lange schon daran gewöhnt, an jedem Morgen zum See zu g e hen, ein Loch in die feste Eisdecke zu schneiden und ihre Angel dort auszuwerfen. Einige Male hatte sie probiert, an mehreren Eislöchern gleic h zeitig zu angeln, doch der Fang wurde nicht größer; fast schien es, als wisse der See, wie viele Tiere sie benötigte, um die Dorfbewohner nicht Hu n ger leiden zu lassen.
Während sie es vorher nie hatte erwarten können, zum See zu gelangen, so merkte sie nun, dass die Gewohnheit ihr die Freude auf die ruhigen Stunden am Ufer und auf dem Eis langsam nahm. An manchen Tagen fühlte sie, wie der See seinen Zauber zu verlieren begann, an anderen schlie ß lich war das Wasser nichts anderes als Feld oder Wald für sie.
An einem dieser Tage geschah es, dass sie auf dem Weg zu ihrer ins Eis gebohrten Angel das Flüstern des tauenden E i ses überhörte und sich jäh unter Wasser wiederfand. Der erste Versuch aufzutauchen ließ sie mit dem Kopf gegen die Eisdecke schlagen, und der Schreck presste ihr die Luft aus der Lunge. Marjana versuchte, sich im Wasser zu or i entieren, doch das trübe Licht der Wintersonne sah in allen Richtungen gleich aus. Nirgendwo wirkte das Wasser he l ler, in keiner Richtung konnte sie den Ort ausmachen, an dem sie ins Eis eingebrochen war und somit auch wieder an die rettende Luft gelangen konnte. In dem trüben Wasser konnte sie nur schemenhafte Bewegungen e r kennen, Fische vielleicht oder Pflanzen, die mit der sanften Strömung des Baches durch den See getrieben wurden.
Marjana wusste nicht einmal genau zu sagen, wo die u n durchdringliche Eisdecke war und wo der Grund des Sees. Die winzigen Luftblasen, die um sie herum das Wasser durchtanzten, schienen abwechselnd zu steigen und zu si n ken, sobald sie den Kopf wendete.
Ihre brennende Lunge ließ Marjana keine Wahl. Mit letzter Kraft versuchte sie nach oben zu steigen, oder wenigstens dorthin, wo sie die Oberfläche des Sees vermutete. Endlich stieß sie mit den Händen gegen das sanft gewellte Eis, ta s tete sich weiter vor, in dieser oder jener Richtung, auf der Suche nach der rettenden Öffnung in ihrem kalten G e fängnis. Dann wurde der Schmerz in ihrer Lunge übe r mächtig. Einen Moment lang versuchte sich Marjana noch zu wehren, ehe sie schließlich den eisigen Tod einatmete. Vor ihren
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