Talivan (German Edition)
dennoch. Und auch wenn ihr Bruder als angehender Zauberer es wohl nie zugegeben hätte, hatte Fiona ihn doch schon zumindest lächeln sehen, wenn sie ihm und den weiteren Familienmitgliedern dieses Lied vo r spielte. Eine Zeit hatte es gegeben, da sie selbst davon g e träumt hatte, es ihrem Bruder gleichzutun. Noch immer b e neidete sie ihn ein wenig um sein Talent, das sich, all ihren B e mühungen zum Trotz, bei ihr selber einfach nicht zeigen wollte. Nachdem Jend geprüft worden war, hatte sie ebe n falls darum gebeten, ohne jedoch die erhoffte Antwort zu erhalten. Sie erinnerte sich noch gut an den Schmerz, den sie damals gefühlt hatte, der unvergesslich schien und nun doch schon so lange ve r gangen war.
Mit einem Triller, ihrem in dieser Zeit seltenen Lachen nicht unähnlich, beendete sie ihr Spiel und dehnte die schon wieder ein wenig steifen Finger, bis ihre Gelenke knackten. Erst langsam, dann immer schneller bewegte sie die Finger durch die Luft. Ja, so war es kein Problem, ohne jede B e lastung. Aber ein Stück musste sie noch spielen, ein letztes Mal am heutigen Tage. Ein Lied von der harten Arbeit der Handwerker, die Fiona früher für zwar wichtig, aber auch uninteressant g e halten hatte – Berufe für die, die zu nichts anderem b e rufen waren, hatte sie gedacht. Doch hatte die Suche nach ihrem eigenen Weg Fiona auch immer wieder in die Schmiede ihres ältesten Bruders Worn g e führt, und mit der Zeit hatte sie die Faszination zu spüren gelernt, wenn in der Glut aus einem Stück Metall ein scha r fes Schwert oder auch ein Hufeisen erwuchs. Das Lied sang von den gleichmäßigen Schlägen des Schmied e hammers, von den Werkzeugen, die aus einem gefällten Baumstamm Möbel und kleine Figuren schufen, von den pra s selnden Flammen, die aus Mehl, Eiern und Wasser ein Brot buken, und von den Menschen, die ihre Geräte sac h kundig ei n setzten, um die immer wieder gebrauchten Dinge immer wieder neu zu e r schaffen. Jeden aus ihrem Dorf, der einen solchen Beruf au s übte, hatte Fiona während vieler Monde befragt und immer wieder gebeten, für einige Tage mithe l fen zu dürfen. Und sie hatte erkennen müssen, dass sie für keinen dieser Berufe g e eignet war – bei den Arbeiten, die ihr nicht schon nach wenigen Minuten den Rücken schmerzen ließen, als wolle er unter der A n strengung auseinande r brechen, begannen nach kürzester Zeit ihre Augen zu tr ä nen und zuzuschwellen, und selbst der Geruch der Flüssi g keit, die der alten Harka half, aus Bronze und Silber die schönsten Schmuckstücke herz u stellen, schien der Luft den Weg in ihre Lungen versperren zu wollen.
Sie ließ das Lied in zufriedenen Tönen ausklingen, ehe sie das Holz der Laute und die Saiten mit speziellen Mitteln einrieb, die beides geschmeidig halten sollten, und das I n strument behutsam in eine weiche Decke einschlug und in einer Ecke ihres Zimmers niederlegte. Nein, sie b e dauerte wahrlich nicht mehr, dass sie keinen der Berufe e r greifen konnte, die ihr einst so erstrebenswert erschienen waren. Ihr Weg lag klar vor ihr – sie würde am kommenden Morgen ausgewählt werden und auch die en t scheidende Pr ü fung im Grünen Turm bestehen. Wer dort unterrichtet worden war, brauchte sich zeit seines Lebens keinerlei Geda n ken mehr um eine Anstellung machen. In den größeren Städten, die nur wenige Tagesreisen von ihrem Heimatdorf entfernt lagen, wurden verschiedene Musikanten beschä f tigt, und selbst an Fürstenhöfe wurden einige derer berufen, die im Grünen Turm ihre Kunst e r lernt hatten. Sie würde es schaffen, wie schon viele andere vor ihr. Sie musste es ei n fach schaffen, wenn sie nicht als fahrende Musikantin ohne Familie und Heimat ihr Leben leben wollte.
Fiona löschte das Licht, warf noch einen letzten Blick zu ihrer Laute hinüber und drehte sich in ihrem Bett herum, bis der Schlaf sie endlich fand.
Am nächsten Tage spielte sie so gut wie nie zuvor. Sie war die Einzige, die von den Gehilfen der Meister mi t genommen wurde. Der erste Teil ihrer Ausbildung war unwide r ruflich vorüber.
Der Weg zum Grünen Turm war lang, doch nicht b e schwerlich, so dass Fiona des Abends, wenn sie in kleinen Gas t häusern haltmachten, noch immer die Zeit und Muße fand, mit ihren Gefährten gemeinsam zu musizieren. Nach ein i gen Tagen stieß eine andere Gruppe zu ihnen, in der sich zu Fionas Erleichterung kein weiterer Lautenist b e fand. Obwohl sie nun weniger Zeit zu üben hatte, b e gann in ihr die
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