Talivan (German Edition)
See, und das leise Wispern der Eiswölfe erschreckte die nun nicht mehr gleichmäßig vorrückenden Fremden noch mehr, als es ihr lautes Heulen getan hatte. Ihre Schritte ve r stummten, lange bevor sie den See erreicht hätten. Stattdessen hörte Malina nun leise Stimmen und lautere, befehlsgewohnte, die den Weite r marsch befahlen, einhundert Mann gegen ein paar Eiswö l fe, und wieder und wieder stieß Malina den schweren Stock auf den gefrorenen See und ließ die Schollen auf dem Eis tanzen, doch begannen schon die ersten Stiefel den unve r änderlichen Takt wiederzufinden, gewann Disziplin die Oberhand und ließ die Furcht ve r gessen, was waren schon ein paar Eiswölfe gegen ei n hundert Mann.
Da ließ Malina den Stock in ihren müden Händen sinken, u n schlüssig, ob sie zurück zu den Ihren laufen oder gleich hier ihr Schicksal erwarten solle.
Sie wusste nicht, dass weit hinter ihrem Rücken einige der jüngsten Soldaten sich mit leisem Lachen e r innert, Schwert und Schild fallengelassen hatten und zu anderen der mit spiegelglattem Eis bedeckten, kleinen Seen gelaufen waren, die an vielen Orten der Hoc h ebene zu finden waren. Malina hörte nur das unhei m liche, unbeschreibbare Geräusch, als ein anderer See zu singen begann, dann vielleicht noch e i ner, vielleicht täuschte sie auch der Nebel, der alle Laute veränderte.
Und sie sah die Fremden stehenbleiben, ungeordnet, zum Teil wichen sie schon zurück, hörte die Stimme des A n führers, der weiterzugehen befahl, und nun auch andere Stimmen, die sich heftig stritten, wozu sollten sie dieses unwirtliche Land erobern, wenn die Täler grüner und g e fah r loser waren, und was waren schon einhundert Mann gegen Ei s wölfe ringsumher. Schneller wurde der nun wieder gleic h mäßige Schritt, als die Fremden sich immer weiter entfer n ten, bis die Tritte ihrer schweren Stiefel vom Nebel ve r schluckt waren.
Zurück zu ihrer Gruppe lief Malina lautlos, genau auf das Singen der Eiswölfe zu, bis dieses verstummte und sie die anderen rufen musste, um sie wiederzufinden. Als die Männer endlich glaubten, dass die Gefahr vorüber, die feindlichen Soldaten und die heulenden Ungeheuer ve r schwunden waren, stand Anerkennung in ihren Augen.
„Oh, das war ein Kinderspiel“, sagte Malina, und lächelnd nickten die jüngsten Soldaten ihr zu.
Warum man Dichtern nicht alles glauben sollte
Einst gab es zu Anoret einen bekannten Dichter, der die Geschehnisse in seiner Heimatstadt stets durch treffliche Parabeln zu beschreiben wusste, ebenso wie die Me n schen, die in Anoret lebten oder auf ihren g e schäftlichen Fahrten die kleine Stadt besuchten. Nun waren seine Geschic h ten nicht lange unbemerkt geblieben, da er sie besonders gerne mit den Abbildern von Personen aus den höchsten und ei n flussreichsten Kreisen zu schmücken pflegte, was das ei n fache Volk so amüsierte, dass seine Parabeln bald in aller Munde waren. Selbstverständlich betrachtete man zu Hofe sein Treiben mit Sorge und bald darauf auch mit ve r haltenem Zorne, doch war nie einer imstande, dem Dichter sein schändliches Verhalten nachzuweisen, da dieser sor g sam darauf achtete, keinen einzigen Namen zu nennen, und immer wieder bestritt, bestimmte Menschen beleidigend dargestellt zu haben. Alles, so sagte er, sei einzig und allein seinem eigenen Geiste entsprungen, keinerlei Ähnlichkeit bestehe sicherlich zwischen den Eseln, die durch seine G e danken spukten, und den hochwohlgeborenen Her r schaften zu Hofe. Freilich mochte diese Aussage niemand b e streiten, der soeben voller Scham oder Zorn sein genaues Ebe n bild in einer Anekdote, auf dem Markte oder in den Straßen vernommen, zu entdecken geglaubt hatte, weshalb der Dichter für lange Jahre weiterhin ungestört seine Geschic h ten zum Besten geben konnte.
Doch begab es sich eines Tages, dass eine Welle der Ne u gierde durch die Stadt lief, da besagter Dichter eine ganz unglaubliche Geschichte ersonnen, in der keiner der Hö f linge und Oberen wiederzufinden war, so sehr sich die Menschen auch bemühten, einen entsprechenden Sinn zu erkennen. Stattdessen sprach das Werk des Dichters von höchst mer k würdigen Dingen, die keiner je gesehen hatte und die die kühnsten Phantasien der Leute bei Weitem ü berstiegen.
So erzählte er beispielsweise von fliegenden Schiffen aus unedlen Metallen, wozu sich die Zuhörenden nach einem kurzen Moment der Verwirrung durchweg beifällig äußerten, wenn sie auch den Nutzen einer
Weitere Kostenlose Bücher