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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den Mund bewegten, als würden sie Luft kauen, sie wolle zurück zum Motel gehen, und er sah sie mit einem Blick an, der ihr nicht gefiel, und dann ging sie allein die sechs Blocks bis zu der sterilen Schuhschachtel von einem Zimmer, legte sich ins Bett und stellte den Fernseher an.
    Sie war noch wach, als er zwei Stunden später kam, betrunken, mit verrutschtem Sweatshirt und einem schafsmäßigen Grinsen, das irgendwo zwischen Reue und Trotz angesiedelt war. Sie sah mit kalter Gleichgültigkeit zu, wie er schlingernd ins Badezimmer ging und bei offener Tür pinkelte, und sie sagte kein Wort, als er wieder ins Zimmer kam, wobei er auf seine Füße sah wie ein Seiltänzer. Beim Fernseher blieb er stehen, gebannt von den Bewegungen auf dem Bildschirm. Es war ein blutiger Horrorfilm, das einzige, was um diese Zeit noch lief. Das und die spätnächtlichen Talk-Shows, die ihr eigenes Vakuum der Irrelevanz zu schaffen schienen. Sie war kein Fan von Horrorfilmen und hätte den Apparat wahrscheinlich ausgeschaltet, wenn sie nicht hier festgesessen hätte, gelangweilt, wütend und schlaflos. »Wir müssen früh aufstehen«, sagte sie und versuchte, ihre Stimme zu beherrschen. »Wir müssen weiter. Weg von hier.«
    Er kratzte sich am Hinterkopf, zog die zu weite Jeans hoch und sagte etwas zum Fernseher, bestimmt etwas Gemurmeltes. Dann drehte er sich um, so daß sie sein Gesicht sehen konnte. »Ich weiß nicht«, sagte er und machte den halbherzigen Versuch, seine Worte mit Gebärden zu begleiten. »Ich weiß nicht, mir gefällt das nicht.«
    »Dir gefällt das nicht? Und was meinst du, wie ich mich fühle?«
    »Ich muß wieder zurück. Ich muß Radko anrufen.«
    Darüber dachte sie eine Weile nach. »Du mußt gar nichts«, sagte sie schließlich und erhob möglicherweise die Stimme, sie wußte es nicht. »Du sagst, daß du mich liebst und zu mir hältst, aber das ist bloß Gerede, denn wenn es so ist...Wenn es so wäre, würdest du keinen Augenblick zögern.«
    Und jetzt flammte in seinem Gesicht Wut auf: Zwischen den Augen entstand ein tiefer Graben, die Lippen gaben die Zähne frei, und im Licht des Fernsehers, wo die vorherrschende Farbe ein gelbliches Orange war, sah er aus wie gelbsüchtig. »Ach ja?« sagte er. »Für wen hab ich denn –« Aber sie senkte den Blick auf den Bildschirm und blendete ihn aus.
    Das Gelb dort verdunkelte sich zu einem Goldton, einem Honigton, zu einem tiefen, hungrigen Sepiaton, während der Killer mit der Maske die viel zu weiße Klinge gegen sein Opfer schwang. Die Heldin in ihrem mitternachtsblauen Body konnte nur weglaufen, sich in einen Winkel kauern und verstecken, mit nackten Beinen und lackierten Zehennägeln, die jedes bißchen Licht einfingen, als wollten sie die Kamera blenden. Hundegebell , verkündete der Untertitel.
    Splitterndes Glas.
    Eine kurze Nahaufnahme des Opfers. Verschmiertes Make-up, schreckgeweitete Augen.
    Anhaltendes Schluchzen.

VIERTER TEIL

EINS
    Sobald er das Haus sah, wußte er, daß er es haben mußte. Damals, als er mit Gina zusammengewesen und ziemlich gut zurechtgekommen war, niemandem Rechenschaft schuldig und auf niemanden neidisch, war er manchmal von hier nach dort gefahren – um etwas zu erledigen oder in einem seiner Restaurants nach dem Rechten zu sehen – und hatte vom Wagen aus ein Haus wie dieses gesehen, und dann hatte er etwas gespürt. Ehrfurcht. Eine Art Ehrfurcht. Allein schon der Gedanke, was für Leute dort lebten: Ärzte, Rechtsanwälte, altes Geld mit echter Klasse und Blue Chip Portfolios, von einer Generation an die nächste weitergegeben, und in der Garage standen der Jaguar und der SLK 280 einträchtig nebeneinander. Sie kamen manchmal ins Lugano, Leute in den Vierzigern, Fünfzigern, sogar Sechzigern, die sich mit Weinen auskannten, nie Erläuterungen brauchten und immer wußten, wie man etwas aussprach, ganz gleich, ob es ein italienisches, französisches oder deutsches Wort war. Und dann fuhren sie wieder nach Hause, in ein Haus wie dieses: Schieferdach, Sprossenfenster, hundertjährige Büsche, sorgsam gestutzt und gezähmt, so daß sie aussahen wie eine Erweiterung der Mauern, Blumenbeete, Efeu, Glyzinien. Und immer auf einem Hügel mit altem Baumbestand. Damit sie hinuntersehen konnten.
    Und hier war es nun, vor seinen Augen. Original. Kein Siedlungshaus aus ein paar Balken und Gipsplatten, keine Wohnanlage, keine weitläufige viktorianische Villa, die vor zwei Generationen in soundso viele dunkle, stinkende,

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