Talk Talk
Radiowecker ausgestattet war, an dessen Digitalanzeige sie die Zeit hätte ablesen können – sie waren bei drei anderen Motels gewesen, bevor sie sich für dieses entschieden hatten, weil es wegen Danas Mitgliedschaft in einem Automobilclub zwölf Dollar weniger kostete –, und sie fragte sich, wo ihre Armbanduhr war. Sie hatte sie doch vor dem Duschen abgelegt, oder? Das war das erste gewesen, was sie getan hatte, nachdem der Mann am Empfang (bärtig, mit Turban und einem Nasenring, der mit einem roten Stein verziert war – ein Granat oder vielleicht bloß ein Stückchen Glas) ihnen den Schlüssel gegeben und sie die Tür geöffnet und den Koffer aufs Bett geworfen hatte, denn die Ereignisse der vergangenen zwei Tage hatten ihr das Gefühl gegeben, schmutzig zu sein, durch und durch unrein, und wenigstens war das Wasser warm gewesen. Jetzt tastete sie sich zum Badezimmer, um ihre Uhr zu suchen, denn die erste Regel für Motelaufenthalte besagte, daß man alles immer gut verstaut haben mußte, sonst stellte man nachher fest, daß man die Hälfte vergessen hatte. Sie trug nur BH und Slip, der Rest ihrer Kleider lag in einem Haufen auf dem feuchten Linoleumboden des Badezimmers, und da, auf dem Rand des gesprungenen, nicht mehr ganz weißen Waschbeckens, war auch ihre Uhr: acht Uhr fünfundvierzig. Wieder meldete sich ihr Magen, und während sie noch die Uhr anlegte, ging sie zurück ins Zimmer, um Bridger zu wecken.
Er hatte sich nicht bewegt. Auf dem Rücken ausgestreckt, lag er auf der Bettdecke und sah hilflos und schutzbedürftig aus. Seine Lippen und Nasenflügel erbebten beim Ausatmen. Er tat ihr leid. Sie tat sich selbst leid. Aber er war ihretwegen hier, das immerhin – wenn irgend jemand den Test bestanden hatte, dann er. Sie blieb einen Augenblick am Bett stehen, betrachtete ihn und dachte dabei nicht an Liebe, jedenfalls nicht bewußt, aber dennoch regte sich in ihr ein gewisses hormonelles Wollen, ein Gebot, ein Begehren. Nach einer Weile beugte sie sich hinunter, drückte ihre Lippen auf seine und ließ sie dort, ließ sie einfach dort, als wollte sie ihn wiederbeleben.
Das Restaurant, in dem sie zu Abend aßen, war ein bißchen besser als das gestern mittag: gedämpfte Beleuchtung, große Kentia-Palmen in Tontöpfen, weiße Tischdecken, sauber verputzte, in einem Aprikosenton gestrichene Wände – und beim Lesen der Speisekarte in der Vitrine neben dem Eingang gefielen Dana nicht nur die Preise, sondern auch das vegetarische Angebot. »Schluß mit dem Schnellfraß«, sagte sie und wandte sich zu Bridger. Andere Paare schlenderten vorbei, und das Licht über den Bergen verblaßte. »Schluß mit Burgern und Fritten. Heute essen wir zur Abwechslung mal was Gesundes.«
Ergeben zuckte er die Schultern. Er hatte seine Karten sperren und auf den Kreditberichten einen Sicherungsvermerk anbringen lassen, er hatte geschlafen, geduscht und in Ruhe die Toilette benutzt, doch er befand sich noch immer in einem Schockzustand. Als sie seinen Arm nahm und ihn in das Restaurant schob, sagte er etwas, was sie nicht verstand, und da sie als nächstes an das Empfangspult traten und sich zu ihrem Tisch führen ließen, wiederholte er es nicht.
Jetzt, als sie die Speisekarte studierten – Dana hatte einen Weißwein bestellt, Bridger ein Bier –, sagte sie: »Ich hab nicht mitgekriegt, was du eben an der Tür gesagt hast.«
Wieder ein Schulterzucken. »Ach, nichts. Es ist bloß... Ich glaube, ich habe alles in allem nicht mehr als fünfzig Dollar.«
»Kein Problem. Ich lade dich ein.« Ihre Hände entfalteten sich und begleiteten ihre Worte mit Gebärden. »Ich bezahle alles, jedenfalls bis du neue Kreditkarten hast. Die können sie doch innerhalb von vierundzwanzig Stunden zustellen, nicht? Und du kannst ja immer noch Geld am Automaten holen.«
»Wohin sollen sie die denn zustellen?«
In diesem Augenblick kam die Kellnerin mit den Getränken, und auf ihrem Gesicht war der Ausdruck, den Dana so gut kannte. Es war ein Gesichtsausdruck, den die Getränkebestellung und vielleicht ein langer, forschender Blick vom Serviceplatz an der Theke hervorgebracht hatten: prüfende Augen, ein bereits gefälltes Urteil. »Für wen war der Weißwein?« fragte sie, nur um Dana sagen zu hören: »Für mich«, obwohl bei einem Zweiertisch – ein Mann, eine Frau – auch eine geistig Zurückgebliebene an ihrem ersten Arbeitstag gewußt hätte, daß der Weißwein für die Dame und das Bier für den Herrn war. Ganz zu schweigen von
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