Talk Talk

gehörte ihm, ohne jeden Zweifel, und sobald er Kalifornien hinter sich gelassen hatte, brauchte er sich wegen der Bullen keine Sorgen mehr zu machen – sofern er das überhaupt getan hatte. Außerdem steckte Geld drin. Er hatte für Natalias Z-4 zehntausend in bar hingelegt und fast ein Jahr lang die monatlichen Raten. Nein, er würde den Mercedes nicht verkaufen. Die Händlerkennzeichen waren kein Problem. Er würde sie einfach wegwerfen, einen gefälschten Versicherungsnachweis vorlegen und den Wagen in New York zulassen. Und wenn Bob Almond von Bob Almond Mercedes/ BMW sich wunderte, wo die Ratenzahlungen blieben, konnte er ja nach San Roque fahren und versuchen, sie aus diesem Arschloch Bridger Martin herauszuschütteln.
    Und so fuhr er immer weiter. Natalia döste, Madison aber war wach und spielte wieder und wieder ihre Videos ab. Der Lärm war zwar nervtötend, aber immer noch besser als die scharfen Krallen von Natalias Genörgel. Das war allerdings noch nicht überstanden – sie gönnte ihren Stimmbändern lediglich eine kleine Pause. Die Landschaft – pure Eintönigkeit – zog an den Fenstern vorbei. Er behielt den Fuß auf dem Gaspedal und ein Auge im Rückspiegel. Es war vier oder fünf, als Madison schließlich zu quengeln begann und Natalia den Kopf hob und ihn mit einem Blick ansah, der ihn glatt verbrannte. Winnemucca war trostlos, Elko war noch trostloser, und Natalia erkundigte sich mit schneidender Stimme, ob er vorhabe, den ganzen Tag und die ganze Nacht zu fahren, ohne je anzuhalten, um gewisse Bedürfnisse zu befriedigen oder etwas Nahrhaftes zu konsumieren – das war tatsächlich das Wort, das sie gebrauchte. »Hast du den Plan anzuhalten«, fragte sie, und er sah sie nicht an, sondern hielt die Augen auf die Straße gerichtet, »oder bist du noch immer auf der Flucht?«
    »Ich bin nicht auf der Flucht.«
    »Was dann?«
    »Ich fahre.«
    »Du fährst. Ja, das sehe ich.« Sie sah aus dem Fenster auf die kümmerliche Wüstenvegetation. Die Welt war aller Farben beraubt, die Sonne war so beharrlich wie ein Alptraum. »Aber das ist nicht Tahoe.«
    »Stimmt«, sagte er, »das ist nicht Tahoe. Die Pläne haben sich geändert.«
    »Und es ist nicht Vegas.« Er sah kurz zur Seite: Ihr Gesicht war entschlossen, wütend, alle sanft schimmernde Schönheit war daraus verschwunden. »Was ist das hier? Das ist nichts.«
    Eine Ausfahrt flog vorbei. Lastwagen bildeten eine metallene Hügelkette, hundert Personenwagen parkten, Idioten liefen herum wie Strichmännchen auf einer Darstellung der typischen Raststätte: Benzin, Essen, Unterkunft, Kondome, Snacks, Tequila. Ein Schild wies auf indianischen Schmuck hin, NUR 20 MEILEN . Und dann wieder kümmerliche Büsche und die lange, am Horizont verschwindende Wunde der Straße.
    »Du hältst an«, sagte sie und wandte ihm ihr zorniges Gesicht zu. »Bei der nächsten Gelegenheit hältst du an, und es ist mir überaus egal, was es ist – du hältst an.«
    »Mit einem Pool«, rief Madison. »Ich will was mit einem Pool. Darf ich dann schwimmen, Mommy, ja? Darf ich?«
    Er hörte sich sagen: »Okay, klar, kein Problem. Bei der nächsten Gelegenheit. Bei der nächsten Gelegenheit mit Pool.«
    Für einen Augenblick sahen alle drei auf die Straße, auf die glitzernde Kette von Personenwagen und Lastwagen, die sich bis zum Horizont erstreckte. Im Hintergrund glucksten und wieherten die Zeichentrickfiguren, und die Reifen summten leise. »Irgend etwas stimmt nicht«, sagte Natalia.
    »Quatsch.«
    »Warum dann nicht Tahoe? Du hast uns Tahoe versprochen.«
    »Ich hab dir doch gesagt, daß ich meine Meinung geändert habe.«
    »Diese Leute –«
    »Scheiß auf diese Leute.«
    Sie durchbohrte ihn mit einem Blick. Sie mochte es nicht, wenn er in Madisons Gegenwart fluchte. Das war eine der Regeln: keine Kraftausdrücke, wenn Madison dabei war. »Diese Leute –« wiederholte sie.
    »Scheiß auf diese Leute.«
    Und so ging es weiter, bis zum Erbrechen – zwei Wochen und einen Tag lang.
    Nachdem sie vier Nächte im Motel verbracht und fünf Tage eingekauft, sich mit den Geräten vertraut gemacht und die aus Kalifornien geschickten Kartons ausgepackt hatten, beschloß er, ihre erste Nacht in dem neuen Haus mit einer besonderen kulinarischen Kreation zu feiern. Er dachte an eine Mischung aus chinesischer und thailändischer Küche: dreierlei aus dem Wok (Muscheln, Mönchsfisch, Tigerkrabben), als Vorspeise Frühlingsrollen mit Schweinefleisch und als Beilage einen hübschen