Talk Talk
kleinen Tintenfischsalat, mittelscharf, mit genug Chili, um Natalia zufriedenzustellen, ohne Madisons zarten Gaumen zu verbrennen. Obwohl Madison lernte, das mußte er ihr lassen. Seit er mit ihrer Mutter zusammen war, hatte er versucht, sie auf den Geschmack zu bringen, sie beim Kochen hin und wieder ein Stückchen japanischen Meerrettich oder Vidaliazwiebel probieren lassen und ihr zum Sashimi eine Extraportion Wasabi oder eingelegten Ingwer gegeben – und danach ein Schälchen Grüntee-Eis zum Kühlen und Vergleichen. Oder er ließ sie auf einem winzigen Stückchen der geräucherten mexikanischen Chilischoten kauen, die er gern in die Hähnchen-Enchilada tat, oder auf einem dunkelroten, eingerollten Streifen Serranoschinken. Und immer bekam sie danach ein Eis. Sie wurde geradezu ein bißchen snobistisch und bestand darauf, beim Frühstück nicht Zimt auf ihren buttergetränkten Toast zu tun, sondern einen Klecks Chiligelee.
Der Supermarkt war natürlich nicht das, was er aus Kalifornien gewohnt war, doch in Fishkill (recht weit von Garrison entfernt, aber er erledigte seine Einkäufe lieber im Norden und hielt sich, aus naheliegenden Gründen, von Peterskill fern) fand er einen Asienmarkt, wo er so ziemlich alles bekam, was er brauchte, von Glasnudeln über süße Chilisauce, Teigblättern für Frühlingsrollen und Ingwer bis hin zu frischem Koriander. Es hatte geregnet. Die Wolken waren über dem Storm King aufgezogen, waren ausgeschwärmt und hatten sich tief über West Point gesenkt, und das war etwas, was ihm gefehlt hatte: die Plötzlichkeit und Heftigkeit der Gewitter. Er stand an der Küchentheke und roch die undefinierbaren Gerüche seiner Kindheit, die über den Rasen und durch die Fliegengitter vor den Fenstern zogen, den Geruch des Waldes, den Geruch nach Sumach, Erde, Fäulnis und dem überreichlich vorhandenen Wasser, das sich an versteckten Stellen sammelte. Alles gärte. Mit einemmal war er glücklich; er fühlte sich, als wäre eine große Last von ihm genommen, eine Last, die ihn seit einem Monat oder länger niedergedrückt hatte, er freute sich, mit einem seiner eisgehärteten neuen J.A. -Henckels-Messer den Tintenfisch zu reinigen und gelegentlich einen Schluck Champagner aus dem Glas auf der Fensterbank zu trinken – der graue Himmel hing niedrig, und das Grün des Rasens war so satt, daß es beinahe schwarz war –, und er freute sich auch über den Champagner, über den Preis des Perrier Jouët, der so günstig gewesen war, daß er gleich einen ganzen Karton gekauft hatte, und überhaupt waren die französischen Weine hier so viel billiger als an der Westküste, daß er von nun an viel mehr davon trinken würde, ganz zu schweigen von italienischen und sogar spanischen Weinen. Das alles empfand er, während er mit dem Messer hantierte und es hin und wieder ablegte, um nach dem Champagnerglas zu greifen, als Natalia geräuschlos hinter ihn trat und ihre Arme um seine Taille schlang.
»Hallo«, sagte sie leise. »Wie geht es hier? Sieht gut aus. Tintenfisch, nicht?«
Auf dem Herd stand auf großer Flamme eine Kasserolle – er kochte aus den Abfällen des Mönchsfischs, etwas Weißwein, Knoblauch und grünen Zwiebeln einen Fond, den er über die Tintenfischstücke geben wollte –, und er hatte die Hände voll. Normalerweise mochte er es nicht, wenn man ihn beim Kochen störte. Die Zubereitung von Speisen erforderte volle Konzentration, sonst ging alles schief. Doch heute fühlte er sich so gut, daß er sich an Natalia lehnte und die Berührung ihrer Hände genoß, ihrer langen Finger auf seinem Bauch, am Rippenbogen und auf der Brust, an den Brustwarzen, wo er besonders empfindlich war. »Ein schönes Gefühl«, sagte er und drehte den Kopf, um sie zu küssen. »Willst du ein Glas Champagner?«
»Gut«, sagte sie und trat einen Schritt zurück. »Ja, will ich, aber ich suche nach dem Hammer, den ich vorhin gekauft habe. Hast du ihn gesehen?«
Sie hatte in einem der örtlichen Antiquitätengeschäfte eine Reihe vergilbter Stiche aus der Zeit der Jahrhundertwende gefunden, auf denen zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, in den verschiedensten Posen zu sehen waren: halb verschluckt von einem Malstrom düsterer Vegetation, Hand in Hand gehend wie ein ausgesetztes Geschwisterpaar, die nackten Füße in einem schäumenden Bach badend, den Blick himmelwärts gerichtet, als erhofften sie sich von dort Führung und Leitung. Seit einer Stunde versuchte Natalia sich zu entscheiden, wo die
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