Talk Talk
Ordnung fürs erste, auch wenn er die Kreditfähigkeit dieses Arschgesichts gründlich an die Wand gefahren hatte, weil er einfach nicht widerstehen konnte, ihm ordentlich einen einzuschenken. Über kurz oder lang würde er sich eine andere Identität suchen müssen. Und er sagte ihr auch nicht, daß es kein Investmentunternehmen war, das er in dem getäfelten großen Erdgeschoßzimmer aufziehen wollte, oder daß er es nicht nur deshalb nicht über sich brachte, sie seiner Mutter vorzustellen, weil seine Mutter ihm vollkommen gleichgültig war, sondern auch, weil diese ihn womöglich Peck oder gar William nennen würde, und im Augenblick kam es darauf an, immer schön einen Schritt nach dem anderen zu machen.
Irgendwann stand er auf und begann, grüne Bohnen zu schneiden und Korianderblätter, Knoblauch und Chilischoten zu hacken. Dann schälte er die Krabben und setzte den Reis auf. Natalia hatte nicht viel zu sagen. Sie trug ihr nachdenkliches Gesicht zur Schau und fuhr mit der Spitze des Zeigefingers über den Rand ihres Glases. Er spürte den Champagner. Das Wohlgefühl, seinen Gedanken nachhängen zu können, während das Essen in den Töpfen brutzelte, war verschwunden, und in der Kehle hatte er den säuerlichen Nachgeschmack des Champagners, aber immerhin, dachte er, war das Thema erledigt. Er hatte sich geöffnet. War so ehrlich und aufrichtig gewesen, wie die Umstände es zuließen. Und Natalia schien zufrieden oder wenigstens beschwichtigt.
Lange Zeit sagte keiner etwas. Leise ländliche Geräusche waren zu hören: singende Vögel, Grillen, das feuchte Zischen eines vorbeifahrenden Wagens. Und was noch? Das rhythmische Quietschen von Madisons Schaukel, so regelmäßig wie Atemzüge. Alles schien sich nach diesem langsamen, steten, friedlichen Rhythmus zu richten – auch er selbst. Er trat wieder an den Herd, und als das Öl im Wok die richtige Temperatur hatte, gab er Knoblauch, Ingwer, grüne Zwiebeln und Chili hinein, und die unvermittelte Explosion von Aromen ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Hinter ihm, am Tisch, räusperte sich Natalia und schenkte sich noch ein Glas Champagner ein. Dann sagte sie mit ihrer einschmeichelndsten Stimme: »Ich verstehe aber trotzdem nicht, warum ich deine Mutter nicht kennenlernen kann.«
Zwei Tage darauf war er in Newburgh, auf der anderen Seite des Flusses, und kaufte mit einer auf irgendeinen anderen Namen ausgestellten Kreditkarte einen Hochleistungskopierer. Danach wollte er zu einem richtigen deutschen Metzger, der sein Handwerk noch auf althergebrachte Weise betrieb und den Sandman ihm empfohlen hatte. Er dachte daran, zur Abwechslung mal Wiener Schnitzel mit Spätzle, Butterbohnen und Blaukrautsalat zu machen, aber andererseits war es dafür wohl zu heiß, und vielleicht sollte er es lieber bei Kartoffelsalat und Bratwurst vom Grill bewenden lassen. Unterwegs beschloß er spontan, in eine Bar am Flußufer zu gehen. Er hatte ein paar Stunden Zeit, und das war schön. Es war beruhigend. Ebenso wie die wärmenden Sonnenstrahlen auf seinem Rücken, als er den Kopierer in den Kofferraum lud. Unter den Achseln war das Hemd bereits durchgeschwitzt, doch er genoß die Hitze und die Luftfeuchtigkeit auf eine Weise, wie er die kühle Luft der Bay Area nie hatte genießen können. Er fühlte sich wie ein Tourist. Wie ein Amateur. Wie ein Müßiggänger, der einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft macht, bevor er sich auf einen Barhocker setzt und ein, zwei Bier aus konischen beschlagenen Gläsern trinkt. Der Fernseher über der Theke würde irgend etwas plappern, und Peck würde eine Zeitung aufschlagen und sich den mäßigen Erfolgen und Mißerfolgen der Yankees und der Mets widmen.
Natalia war einkaufen. Er hatte sie an einem Einkaufszentrum abgesetzt, so groß wie Connecticut, und sie hatte gesagt, sie werde ihn gegen zwei anrufen, um sich mit ihm zum Essen zu verabreden. Für Madison hatten sie ein Tagescamp gefunden. Sie hatte natürlich nicht gehen wollen, sich an die Beine ihrer Mutter geklammert und geschrien, bis ihr der Rotz aus der Nase gelaufen war – mit einem Wort: Sie war allen Beteiligten gewaltig auf die Nerven gegangen, aber immerhin brauchten sie sich bis fünf (oder war es halb sechs?) nicht um sie zu kümmern. Unwillkürlich dachte er an Sukie. Es tat weh, ihr so nah zu sein und sie nicht sehen zu können, aber dieses Risiko wollte er nicht eingehen, noch nicht. Ihr Gesicht stand ihm vor Augen und verschwand ebenso schnell wieder,
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