Talk Talk
bedachte, lag keinerlei Sympathie. »Zwingen Sie mich nicht, Ihnen einen zusätzlichen Tag zu berechnen, verstehen Sie?« Ihr Blick huschte zum Bett mit Danas zugedeckter Gestalt und wieder zurück. »Zwingen Sie mich nicht.«
Schnell saßen sie wieder im Wagen, auf der I-80, wieder im Fegefeuer, auf der Straße, die niemals endete, und erst als sie an einer Fernfahrerraststätte bei Bloomsburg hielten, kamen sie dazu, sich die Haare zu kämmen und die Zähne zu putzen und etwas zu essen. Es war eine freudlose Mahlzeit, ein mechanisches Auffüllen des Magens, nicht viel anders als das Auffüllen des Benzintanks. Bridger übernahm die letzte Etappe und versuchte, dem Radio einen gewissen Unterhaltungswert abzugewinnen, indem er einen Alternativsender nach dem anderen ausprobierte, aber die Signale waren zu schwach, und so gab er schließlich auf und stellte einen der allgegenwärtigen Oldiesender ein. Die Sonne begleitete sie und brannte den ganzen langen Nachmittag gnadenlos auf das Wagendach. Die aufgekratzten DJ s in ihren klimatisierten Studios rissen Witze über die Hitze – einer rief zwischen den Songs ins Mikrofon: »Die Welt hat Fieber!« –, und während sie durch New Jersey fuhren, hörten sie drei- oder viermal »Summer in the City«. Oder vielmehr: Bridger hörte es.
Dana schienen weder die Hitze noch die Stille etwas auszumachen. Eingehüllt in ihre eigene Welt saß sie neben ihm und tippte auf dem Laptop – das hier war die Gelegenheit, an ihrem Buch zu arbeiten. »Erzwungene Einsamkeit. Oder nein, nicht Einsamkeit«, fügte sie mit einem entschuldigenden Lächeln hinzu, »das hab ich nicht gemeint.« Er wußte, was sie gemeint hatte, und war nicht gekränkt. Jedenfalls nicht sehr. Sie versuchte, das Beste aus der Sache zu machen, sofern überhaupt etwas Gutes dabei herauskommen konnte. Er drückte ihr die Daumen. Er hoffte, daß sie ihr Buch zu Ende schrieb, es an den größten Verlag in New York verkaufte und Millionen damit verdiente, wenn sie das glücklich machte. Denn es stand außer Frage, daß diese ganze wahnsinnige Aktion zur Aufspürung und Verhaftung von Frank Calabrese niemanden glücklich machte – weder Dana noch ihn selbst oder Radko. Und den Dieb ebenfalls nicht.
Der Dieb. Bridger hatte ihn schon beinahe vergessen, hatte beinahe vergessen, was sie hier taten und warum sie es taten. An der Straße standen die Bäume dicht an dicht, der Verkehr nahm zu, seine Augen berechneten den Abstand zu den anderen Wagen, und er dachte nur daran, welche Macht dieser eine Mensch über sie hatte: Er war es, der sie hierhergebracht hatte, in diesen Wagen, in die Hitze eines Julinachmittags in New Jersey. Er sah ihn vor sich, sah das Gesicht des Kerls durch die Reflexionen auf der Windschutzscheibe schimmern, sah seinen Gang – mit wiegenden Hüften und Schultern wie irgendein Zuhälter in irgendeinem Film, wie Harvey Keitel in Taxi Driver –, und er spürte, wie sich in ihm etwas verhärtete, ein Klumpen aus geballtem Haß, der die Sache unvermittelt wieder in einem anderen Licht erscheinen ließ. Er war gestern abend einfach fix und fertig gewesen, das war alles. Er hatte genug gehabt, genug von der Fahrerei, von dieser Aktion, von Radko – sogar von Dana und der Art, wie sie ihn ausschloß. Aber sie würden diesen Kerl finden und dafür sorgen, daß er hinter Gitter kam. Und das alles hatte nicht mehr allein mit Dana zu tun, jetzt nicht mehr.
Die Sonne stand hinter ihnen, als sie über die George Washington Bridge nach Manhattan fuhren, das er bisher nur aus Filmen kannte. Da stand eine ganze Stadt wie eine mittelalterliche Burg mit tausend Türmen, jeder übergossen mit dem orangeroten Sirup des schwindenden Tages. Dana lotste ihn durch die engen, von Taxis auf Kundenfang und in zweiter Reihe parkenden Lieferwagen verstopften Schluchten. Auf einer Flutwelle von Küchengerüchen senkte sich der Abend herab: Eine Million Ventilatoren bliesen die Düfte von Mu shu, Tandoori, Kielbasa, doppelten Cheeseburgern, Fisch und Polpettone aus den Küchen und hinaus in die Straßen, wo sie mit den Gerüchen nach Hundescheiße und Erbrochenem, verfaulendem Abfall, blühenden Blumen und Dieselabgasen unterlegt wurden. Bridger kurbelte das Fenster herunter, um diese Mischung tief in sich aufzunehmen. »Hier rechts«, sagte Dana und wedelte mit der Hand, »und an der Ampel links.« Die Parkgarage (sie waren irgendwo in der Upper East Side, aber das wußte er nur, weil sie es ihm gesagt hatte) kostete für
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