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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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nennen? – schien plötzlich kraft- und energielos. Ihr Weinglas war leer, und sie stand auf, schenkte sich nach und machte mit der Flasche eine fragende Gebärde in seine Richtung, doch er legte die flache Hand auf sein Glas und schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht fand wieder seine Form. Sie setzte sich schwer. Lange Zeit sagte keiner von ihnen etwas, und er dachte schon, die Unterredung sei vorbei, als sie ihr Glas schwenkte und sagte: »Cochlea-Implantate. Zum Beispiel Cochlea-Implantate.«
    Er hatte das Wort zum ersten Mal gehört, als er den Kurs für Gebärdensprache besucht hatte. Am ersten Abend wollte einer der Kursteilnehmer wissen, warum Gehörlose sich nicht einfach Implantate einsetzen ließen, anstatt sich mit der Gebärdensprache abzuplagen. Die Lehrerin – sie war mit einem prälingual ertaubten Physiker verheiratet, der mit Hilfe einer Kombination aus Lautsprache, Mundlesen und Gebärdensprache kommunizierte – erklärte ihnen, daß Implantate sich nicht für jedermann eigneten, denn das Ausmaß und die Ursache des Gehörverlustes spielten eine große Rolle; zudem sei das Ergebnis bei den Gehörlosen, die für einen solchen Eingriff in Frage kämen, oft zwiespältig. Sie schilderte die Prozedur: Empfangsspule und Elektroden mußten operativ in Schädelknochen und Cochlea eingesetzt werden, das winzige Mikrofon wurde hinter dem Ohr plaziert. Im günstigsten Fall wurden Geräusche an den Hörnerv übermittelt, so daß der Patient sein Gehör bis zu einem gewissen Grad wiedererlangte, möglicherweise in ausreichendem Maße, um in der Welt der Hörenden beinahe normal leben zu können, besonders wenn er das Gehör erst relativ spät verloren hatte. Allen anderen brachte ein solches Implantat allenfalls etwas Unterstützung beim Mundlesen; sie konnten vielleicht telefonieren und Alarmsirenen und Autohupen hören. Es war kein Wundermittel.
    »Sie kennen Cochlea-Implantate?«
    Er nickte.
    »Also, Dana... Das hat mich und ihren Vater sehr frustriert, und vielleicht ist ›frustriert‹ ein zu schwaches Wort, denn ich hätte schreien können« – sie hielt inne und bedachte ihn mit einem spröden Lächeln –, »aber Dana hätte mich natürlich nicht gehört, und wenn ich für den Rest meines Lebens Tag und Nacht geschrien hätte. Sie wollte sich einfach nicht untersuchen lassen. Sie weigerte sich, zum Spezialisten zu gehen, sie wollte nicht wissen, ob bei ihr die Voraussetzungen für den Eingriff gegeben waren. Sie wollte nichts davon hören.« Wieder ein Lächeln. »Aber was rede ich da. Merken Sie, was für Worte wir benutzen?«
    »Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund«, sagte er, und für einen Augenblick starrte sie ihn entgeistert an. Dann ordneten sich ihre Gesichtszüge wieder, und sie schlug mit dem Arm auf die Sofalehne. Sie lachten. Unten klagte noch immer leise die Sirene. Sie jaulte, als wollte sie die Nacht zerteilen.

DREI
    Alle Orte am Fluß sahen gleich aus: Block um Block weitläufige, topplastige alte Häuser in den verschiedensten Stadien des Verfalls, unkrautüberwucherte Grundstücke, auf denen Fabrikruinen in sich zusammensanken, Arbeitslose und Arbeitsunfähige, die über die rissigen Bürgersteige schlurften, wo sich Sumach festgesetzt hatte und die unvermeidlichen Parkuhren in der Sonne glänzten. Peterskill war nicht anders. Höchstens schlimmer. Sie war als Mädchen schon einmal hiergewesen: In einem Sommer hatten ihre Eltern einen Bungalow am Kitchawank Lake gemietet, und jeden Samstag waren sie in ein Restaurant mitten in Peterskill gefahren; ihr Vater hatte immer gerufen: » Ah, la cucina italiana originale! « und sich mit großer Gebärde den Bauch gerieben, bis sie und ihre Brüder in lautes Lachen ausgebrochen waren – aber das war jetzt zwanzig Jahre her, und nichts sah auch nur entfernt vertraut aus. An den See erinnerte sie sich. In jenem Sommer hatte sie ein Kanu gehabt – es gehörte zum Haus –, und wenn sie es ihren Brüdern abluchsen konnte, fuhr sie damit in die kleinen Buchten am gegenüberliegenden Ufer, und manchmal ließ sie sich einfach treiben, las, knabberte an einem Sandwich, spürte den leichten Wind auf ihrem Gesicht und roch den berauschenden Geruch des Sees, einen Geruch nach Fäulnis und Erneuerung, und den eigenartig süßen Duft, der über dem Wasser hing, wenn die Motorboote verschwunden waren.
    »Wenn alles vorbei ist, möchte ich mit dir zum See fahren«, sagte sie. »Ich meine, wenn wir hier fertig sind.«
    Sie saßen im Wagen unter einem der

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