Talk Talk
sagen, nämlich daß jetzt gerade eine Frau an deinem Computer sitzt, eine sehr junge Frau, und sie ist schnell, und ich glaube, sie ist besser als du wärst, wenn du überhaupt hier wärst.« Bridger wollte etwas sagen, aber Radko erhob jetzt die Stimme, balancierte die Worte auf den Schneidezähnen und spuckte sie in den Hörer. »Aber du bist nicht hier.«
»Ich verstehe. Hab schon kapiert. Ich wollte dir nur sagen, daß das alles nicht meine Schuld ist und... äh... na ja, wenn ich wieder da bin, rufe ich dich mal an. Nur für den Fall...«
»Für welchen Fall?«
»Daß du mich brauchen kannst. Wieder.«
»Und wann bist du wieder da?«
Die Radiostimme flammte noch einmal auf und erstarb. Dana hatte sich nicht gerührt, hatte nicht mal gezwinkert. Alles war statisch mit Ausnahme der Limousinen und Lastwagen jenseits des Mittelstreifens, die langsam größer wurden. »Ich weiß nicht. Sobald ich kann.«
»Du weißt nicht?« Radko machte eine Kunstpause. »Dann weiß ich auch nicht«, sagte er und legte auf.
Das war Utah. Danach kam Wyoming, und nach Wyoming kamen Nebraska, Iowa und der verbrauchte grüne Unterleib von Illinois und so weiter, und so weiter. Die Straße war eine Peitsche, und der Wagen klebte an ihr wie ein Tropfen Schweiß oder Blut oder beides. Sie wechselten sich mit dem Fahren ab – einer lag bewußtlos auf dem Rücksitz, während der andere gegen die Langeweile ankämpfte. Bridger wollte Dana den größten Teil abnehmen, denn für sie war es besonders schwer, weil eine Unterhaltung kaum möglich war und Radiosendungen sie nicht ablenken oder fesseln oder empören konnten. Sie war keine schlechte Fahrerin – Gehörlose, hatte sie ihm hundertmal erklärt, seien visuell aufmerksamer und räumlich besser orientiert als Hörende und daher eindeutig die besseren Autofahrer –, aber trotzdem machte er sich Sorgen, sie könnte in eine Art Trance verfallen und irgend etwas Falsches, wenn nicht Verhängnisvolles tun. Doch die Erschöpfung setzte ihm zu. Und die Hitze. Es war, als folgten sie einer Hitzewelle über die fetten, ausladenden Hüften des Landes: kaum eine Wolke am Himmel und kein Tropfen Regen.
Eines Nachts stiegen sie in einem Hotel in einem Collegestädtchen in Westpennsylvania ab. Sie waren so erpicht darauf, der Folterkammer des Wagens für ein paar Stunden zu entrinnen, daß es ihnen völlig gleichgültig war, ob Frank Calabrese vor ihnen in New York ankam, ob er inzwischen ein weiteres halbes Dutzend Leute betrog oder sich als Präsident und Chief Financial Officer von Halter Martin Investments installierte. Bridger wollte die Sache ohnehin am liebsten abblasen und vergessen und sich wieder etwas anderem zuwenden, aber Dana war unerbittlich. »Du bist wie Kapitän Ahab«, sagte er und buchstabierte den Namen unbeholfen mit den Fingern, als sie in einem Schnellimbiß standen, in dem sich Studenten drängten, gebeugt unter der Last ihrer Rucksäcke.
Bin ich nicht , gebärdete sie.
»Man muß wissen, wann man verloren hat« – er versuchte, es scherzhaft zu formulieren –, »sonst hat man am Ende ein Holzbein oder schlimmer noch: man geht mit dem Wal unter. Du willst doch nicht mit dem Wal untergehen, oder?«
Sie lachte nicht. Sie lächelte nicht mal. Für einen Augenblick fragte er sich, ob sie ihn überhaupt verstanden hatte, und er wollte seine Bemerkung schon wiederholen, auch wenn nichts so blöd ist wie ein Witz, den man erklären muß, als ihre Augen sich verhärteten. Sie straffte die Schultern, ihr Haar bauschte sich, als wäre es von einem plötzlichen Windstoß ergriffen, und als sie ihm antwortete, trugen die Worte die Abdrücke ihrer Zähne: »Das ist nicht komisch. Du bist kein bißchen komisch.«
Sie standen an der verglasten Theke. Dana war als nächste an der Reihe, und die genervt wirkende kleine Frau mit Plastikhaube und -handschuhen, deren Job es war, Fleisch, Käse und Gemüsescheiben auf das Brot der Wahl zu legen, sagte vergeblich: »Der nächste.« Du bist kein bißchen komisch. Herrgott, mußte sie eigentlich immer so negativ sein? Konnte sie die Dinge nicht mal ein bißchen lockerer nehmen? Nicht mal für fünf Minuten?
Natürlich war auch er nicht gerade in bester Stimmung (sie waren beide erledigt und sehnten sich nach Essen, einer Dusche und ein paar komatösen Stunden auf einem großen Bett vor einem pulsierenden Fernseher), und etwas in ihm, das leise Zucken eines grausamen Impulses, von dessen Existenz er gar nichts gewußt hatte, ließ ihn
Weitere Kostenlose Bücher