Talk Talk
irgendwelchen Jüngelchen drei Dollar für jede Kreditkartennummer gab, die sie an der Tankstelle oder im Chinarestaurant abgegriffen hatten –, war Sandman darauf aus, Reiche und Superreiche gezielt ausfindig zu machen und die Art von Verbindung herzustellen, die einem ein sorgenfreies Leben bis ans Ende der Tage bescheren konnte. »Warum nicht?« sagte er immer wieder. »Wenn’s im kleinen funktioniert, funktioniert’s auch im großen.« Peck mußte ihm zustimmen. Er war bereit für die nächste Stufe. Mehr als bereit.
Weil Frauen Sandman interessant fanden (er fand sie seinerseits ebenfalls interessant und war fünf- oder sechsmal verheiratet gewesen), taten sie ihm, wenn sie ihm besonders nahestanden, gern einen kleinen Gefallen. Im Augenblick traf er sich mit zwei Frauen, die Peck nicht kannte und nie kennenlernen würde, und beide waren im Finanzbereich tätig. Die eine hatte einen untergeordneten Job – möglicherweise als Sekretärin – bei Goldman Sachs, die andere war geschieden, hatte zwei Kinder, unglaubliche Nervensägen, und arbeitete als Analystin bei Merrill Lynch. Welche Gefallen sie ihm taten? Sie versorgten ihn mit Briefpapier. Und mit einer gültigen Adresse.
In der Bibliothek ließ er sich auf einem Stuhl nieder, fuhr einen der Computer hoch und zeigte Peck, wie er Zugang zu personenbezogenen Daten bekam, die die Börsenaufsicht als öffentlich zugängliche Unterlagen auf ihrer Website bereithielt. Dann setzten sie sich an zwei weit auseinanderliegende Computer und machten sich an die Arbeit. Sobald sie im Besitz dieser Informationen waren, würden sie auf dem Briefpapier einer der Firmen die Kreditberichte ausgewählter Personen anfordern und sich so Zugang zu ihren Maklerkonten verschaffen. Von da an war alles ganz einfach. Sollte es jedenfalls sein. Man ging ins Internet, transferierte Summen von einem existierenden Konto auf eines der Konten, die man irgendwo anders eingerichtet hatte, ließ die Sache ein paar Tage ruhen und transferierte sie weiter, auf immer verschlungeneren Wegen. Dann löste man die Konten auf, und keiner hatte was gesehen. Und keiner hatte einen Schaden außer ein paar reichen Säcken, die so viel Geld hatten, daß sie selbst nicht wußten, wieviel. Und außerdem waren sie sowieso allesamt Ganoven. Das wußte doch jeder.
Es war nach zwei, als Sandman hinter ihn trat und ihm die Hand auf die Schulter legte. Die Zeit war vergangen wie im Flug. Anstatt die Dateien auszudrucken – in diesem Punkt war er noch immer ein bißchen paranoid –, schrieb er die nötigen Informationen in ein Notizbuch, das er zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Mehr als hundert Namen hatte er bereits, aber es war, als würde man in einem See angeln, wo die Fische gar nicht mehr aufhörten anzubeißen. Oder besser noch: als wäre man in einer Goldmine und müßte die Nuggets nur noch aufheben. Wann hat man genug? Wann hört man auf? Er hätte den ganzen Tag und die ganze Nacht dort sitzen können.
»Komm, Alter, Zeit zum Mittagessen – was meinst du?«
Peck starrte ihn nur an. Hinter seinen Augen pochte es, und der erste zarte Hauch eines Kopfschmerzes strich wie ein heißer Wind durch die hinteren Regionen seines Schädels.
»Macht Spaß, hm?«
»Ja«, sagte Peck, aber darüber hinaus fehlten ihm vorerst die Worte. Er war noch immer im Bann des freigebigen und allumfassenden Königreichs der Informationen. Er blickte nach rechts, wo eine andere Bibliotheksbenutzerin, eine riesige Schwarze mit hübschem Gesicht und langen Dreadlocks, ihre Maus mit so viel Feingefühl bewegte, als wäre sie dabei, mit einer Hand eine Traube zu schälen. Sie sah ihn an, und das Lächeln, das sie ihm schenkte, war durchdrungen von Nettigkeit und einfacher Freude. Er lächelte zurück.
»Aber es reicht, wir haben genug«, sagte Sandman und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Morgen schreiben wir ein paar Briefe, und dann ziehen wir’s durch – schnell rein und schnell wieder raus, bevor irgendeiner kapiert, was los ist. Du weißt, die werden dieses Loch stopfen, das müssen sie. Ich meine, wir können doch nicht die einzigen sein...«
»Ja«, sagte Peck. Seine Stimme klang eigenartig in seinen Ohren, als er sich abwandte und den Computer herunterfuhr. Er war so aufgeregt, daß er kaum Luft bekam. »Ich weiß, was du meinst.«
Dann waren sie wieder unterwegs auf der Straße, die bestimmt eine der schönsten der Welt war. Sie zog sich an der Bergflanke entlang wie eine Bauchnaht, die das Bindegewebe
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