Talk Talk
ihm gefehlt: ein Freund, ein Kumpel, ein Vertrauter, den er treffen konnte, ohne befürchten zu müssen, er könnte sich verraten, denn es gab Situationen – wenn er vor einem Spiegel stand oder eine Kreditkarte über den Tresen schob –, da wußte er nicht mehr, wer er eigentlich war. William, Will, Billy, Peck, Frank, Dana, Bridger – und jetzt der Neue, den Sandman aufgetan hatte, ein echter Treffer, der so um die fünfzig Millionen hatte: M. M. Mako – Michael Melvin Mako. Der Name war so lachhaft, daß er echt sein mußte.
Na gut. Schön. Er hatte seine Wahl getroffen und war unbesorgt, weitgehend jedenfalls. Selbst wenn die Bullen ihn mal anhalten sollten, konnten sie nicht wissen, wer er wirklich war. Die wußten nur, was auf dem Führerschein stand: Er war Bridger Martin –keinerlei Einträge, kein Haftbefehl, ein gesetzestreuer Bürger mit vorbildlicher Steuermoral – auf der Durchreise zu einem kleinen Urlaub in Nantucket, und ja, danke, Officer, ich werde auf die Geschwindigkeitsbegrenzungen achten. Trotzdem – als er mit der Zeitung und einem Becher Kaffee in sein Büro ging, das er sich im Untergeschoß eingerichtet hatte, spürte er ein ganz leises Unbehagen bei dem Gedanken an Dudley und sein großes Maul und allerhand Leute, die die Ohren spitzten. Was er sich wünschte –das wurde ihm deutlicher denn je bewußt, als er sich an den Schreibtisch setzte, den Wirtschaftsteil der Zeitung aufschlug und hinausblickte auf den Wald, den Fluß und die beiden Eichhörnchen, die einander mit pfeilschnellen Sätzen über den Rasen jagten –, war ein ruhiges, anonymes Leben in diesem Haus, mit diesem Wagen und dieser Frau und der Gewißheit, sich nie mehr mit irgendeiner Scheiße abgeben zu müssen, die ihm irgendwer vor die Tür legte. Geh nach Süden. Geh nach Norden. Bleib unsichtbar. Er brauchte eine Basis in der Stadt, vielleicht eine kleine Wohnung im Village oder in TriBeCa, ein Ein-Zimmer-Apartment, irgendwas, wo man übernachten konnte, denn wenn sie ausgehen, was erleben oder gut essen wollten, kam dafür nur die Stadt in Frage. Nicht daß man in Westchester, Putnam oder Dutchess nicht gut essen konnte, aber das wirkliche Leben war unten, in New York, und dort würde ihn auch niemand erkennen. Es war purer Zufall, daß er Dudley über den Weg gelaufen war, und es konnte wieder geschehen oder auch nie, jedenfalls ein paar Jahre lang nicht. Er hob die Zeitung ins Licht und trank einen Schluck Kaffee. Ja, und was war mit Gina? Was, wenn er Gina über den Weg lief?
Genau in dem Augenblick, als er über diese Möglichkeit nachdachte, klopfte es hinter ihm an der Tür, die zum Garten führte. Es war eine Terrassentür mit acht Scheiben und lackierten Sprossen, ein windiges Ding, das schief in den Angeln hing und durch das jeder hineinsehen oder einbrechen konnte. Er zuckte zusammen, und als er herumfuhr, schwappte Kaffee auf sein Hemd.
»He, Mann, ich wollte dich nicht erschrecken« – es war Sandman, der, die Hand auf dem Griff, die Tür öffnete, und er grinste und kniff die Augen zusammen, so daß sie nur zwei sardonische Lichtpünktchen waren –, »und genausowenig möchte ich dich kritisieren, aber vielleicht hattest du schon genug Koffein für heute morgen. Ich meine, du bist ja fast vom Stuhl gehüpft.«
Er spürte einen leichten Ärger. Er war überrascht worden, gestellt, ertappt, wie er sich sorgte und die Hände rang wie irgendein Paranoiker, irgendein Versager. Es gelang ihm, ein schmales Lächeln aufzusetzen, während er nach einem Papiertuch griff und den Fleck auf seinem Hemd abtupfte. »Ja«, sagte er, »du hast recht. Zuviel Koffein tut einem nicht gut.«
Sandman ging durch den großen Raum, mit breiten, hängenden Schultern und betont eingezogenem Kopf, als hätte er Angst, sich an der Decke zu stoßen – und die war tatsächlich niedrig, die offen verlegten Rohre hingen nur zwei Meter über dem Boden, aber trotzdem war das reine Theatralik, reine Show –, und dann setzte er sich schräg auf eine Ecke des Schreibtischs. »Stimmt, aber ich hätte nichts gegen einen Becher Kaffee einzuwenden, wenn du gerade einen da hast. Oder Natalia. Wenn die Kanne voll ist, meine ich. Wenn du zufällig einen Viaggio Mocha hast, mit echter Sahne und braunem Zucker. Zwei Stücke, bitte. Oder Honig. Honig wäre auch gut.« Er hob eine Augenbraue und strich über die Haare unterhalb der Lippe. »Denn du kennst mich ja, ich würde dir nie irgendwelche Umstände machen wollen...«
Er zog seine
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