Talk Talk
hören. Sie sahen sich kurz an. Ein weiterer Augenblick verging, und dann gebärdete er: Ich geh mal ums Haus und sehe hinten nach , und mit einemmal fühlte sie sich seltsam, verletzlich, als wäre sie eine Verbrecherin, und sah verstohlen die Straße hinauf und hinunter. Es regnete, und außer dem Wasser im Rinnstein schien sich nichts zu regen. Beinahe hätte sie die Gestalt auf der Veranda des Nachbarhauses übersehen. Eine kleine rhythmische Bewegung erregte ihre Aufmerksamkeit, und als sie genau hinsah, erkannte sie eine Frau, eine alte Frau mit dicken Armen und einer Nickelbrille, die in einem Rattan-Schaukelstuhl saß und sie nicht aus den Augen ließ. Für einen Moment war Dana wie erstarrt. Ein lauter Ruf wäre zu auffällig gewesen, und daher klatschte sie in die Hände, damit Bridger sie ansah. Er fuhr herum. Jemand beobachtet uns , gebärdete sie.
Bridger blickte in die falsche Richtung. Er war die Stufen hinuntergegangen und stand jetzt im Regen. Sein Haar war klatschnaß, und das Hemd, das sie ihm zum Geburtstag geschenkt hatte – im Retro-Look, mit breiten vertikalen Streifen in Grau und Schwarz und einem übergroßen Kragen –, hing wie ein Duschvorhang an ihm herab. Wo?
Ihr Gesicht war naß, Regenwasser tropfte von ihrer Nase. Sie kam sich lächerlich vor. Der Regen wurde stärker und trieb in Schwaden über die Straße. Da drüben, auf der Veranda , gebärdete sie und ging zum Wagen.
Darin roch es, als hätte man ihn aus dem Meer gezogen. Ihre Schuhe – blaugraue Mary Janes, die sie vor zwei Tagen bei einem Ausverkauf gefunden hatte – waren schlammbespritzt, und ihre Kleider klebten am Körper. Ein Schauer überlief sie, und sie rutschte auf den Fahrersitz und ließ den Motor an, damit die Heizung warme Luft produzierte, während Bridger, den sie durch den Regen und die beschlagenen Fenster nur verschwommen sah, der alten Frau freundlich zuwinkte, quer durch den Vorgarten ging, über die niedrigen Büsche stieg, die die Grundstücksgrenze markierten, und unter dem vorspringenden Verandadach stehenblieb. Er bewegte den Mund und gestikulierte, und die alte Frau bewegte ebenfalls den Mund.
Es dauerte ewig. Bridger stand da und plauderte, als wäre der Himmel bis zur Troposphäre wolkenlos, als würde die Sonne in all ihrer Herrlichkeit vom Himmel brennen, und die alte Frau schaukelte im Schatten ihrer Veranda und plauderte zurück. Was mochten sie wohl zu plaudern haben, diese beiden Hörenden? Was gab es denn überhaupt zu reden? Peck Wilson – war er da oder nicht? Das war alles, was interessierte. Dana war verärgert und wütend, sie zitterte in den nassen Sachen, und die Heizung, die seit Januar nicht gelaufen war, fügte dem olfaktorischen Bukett den schwachen Geruch nach Metall hinzu. Lange starrte sie aus dem Fenster, erst auf Bridger, dann auf das zweistöckige Haus – es war alt und hatte einen unproportionierten Anbau und ein gestuftes Dach –, wo der Mann, der in ihr Leben eingedrungen war, gespielt und gearbeitet hatte und zu einem vollwertigen Verbrecher herangewachsen war.
Sie begann sich etwas vorzusingen, etwas von Poe, denn das schien sie immer zu beruhigen – Ob Engel im Himmel, schimmernd und rein, / Ob Dämonen der Hölle, nie / Soll’n trennen sie jemals die Seele mein / Von der Seele von Annabel Lee –, und dann spürte sie, wie der Wagen leicht schwankte und Bridger sich auf den Beifahrersitz setzte. »Und?« fragte sie.
»Sie heißt« – er buchstabierte mit den Fingern – »Lois.«
Dana war verwirrt. »Wer heißt so? Die alte Frau?«
Er strich sich mit beiden Händen über das Gesicht und die Haare und warf dann den Kopf zurück wie ein Taucher, der an die Oberfläche zurückgekehrt ist. »Nein«, sagte er und wandte sich zu ihr. »Wilsons Mutter. Peck Wilsons Mutter. Sie heißt Lois.«
»Ja, aber wo ist sie?«
»Die alte Dame – die war übrigens richtig nett – hat gesagt, daß sie übers Wochenende weggefahren ist, nach Saratoga oder so. Zum Pferderennen, mit einer Freundin – nicht mit ihrem Sohn.«
»Und du hast ihr nicht –«
»Nein«, unterbrach er sie, »ich hab ihr nichts erzählt. Ich hab sie bloß auf freundliche, gutnachbarschaftliche Art gefragt, ob sie mir sagen kann, wo Mrs. Wilson ist, und daß Mrs. Wilson eine alte Freundin meiner Mutter ist und meine Mutter mir gesagt hat, ich soll sie doch mal besuchen, wenn ich in New York bin.« Er zuckte die Schultern und trocknete seine Haare mit einem Sweatshirt ab, das er aus dem Haufen
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