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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sondern ein Slum. Hier gibt’s so was nicht. Kein Blumengeschäft, keinen Schnapsladen, der irgendwas anderes verkauft als billige Scheiße. Wir sind hier im Literland – hier trinkt man Whiskey aus der großen Flasche und Miller High Life aus der großen Dose.«
    Sie standen in der Stadtmitte von Peterskill an einer roten Ampel. Er war einen kleinen Umweg am Pizza Napoli vorbei gefahren – Fenster und Türen waren mit graffitiverschmierten Brettern vernagelt, doch das große rot-weiße Schild, das ihn zweitausendfünfhundert Dollar gekostet hatte, war noch da und kündete von dem Optimismus, der ihn damals beflügelt hatte –, aber er hatte nichts gesagt, und Natalia war mit ihrem Gesicht beschäftigt gewesen und hatte es gar nicht bemerkt.
    »Dann mußt du eben herausfahren aus dieser Stadt und irgendwohin, ich weiß auch nicht, zum Einkaufszentrum oder zum Supermarkt, irgendwohin, wo ein gutes Alkoholgeschäft ist. Ich sage dir: Ich werde nicht aus diesem Wagen aussteigen.«
    Es war okay. Es war in Ordnung. Irgendwie war es geradezu eine Erleichterung, den Blinker zu setzen, links abzubiegen und auf der Route 6 zu dem Einkaufszentrum mit dem gehobenen Sortiment zu fahren, denn ihm war etwas unbehaglich zumute, wenn er daran dachte, daß er sich nicht nur jedem preisgeben würde, der nur darauf wartete, daß er vor dem Haus seiner Kindheit vorfuhr und seine Mutter besuchte – nein, er würde auch Sukie gegenüberstehen. Dieser erste Augenblick, der Moment des Erkennens. Würde sie in seine Arme kommen? Würde sie überhaupt wissen, wer er war?
    Beim Einkaufszentrum parkte er am Ende des Parkplatzes und blieb im Wagen, als Natalia loszog, um gemästete Kälber und Brandopfer zu besorgen. Allerdings mußte er zunächst etwas über sich ergehen lassen, das große Ähnlichkeit mit einem KGB -Verhör hatte. (»Und warum kommst du nicht mit?« wollte sie wissen. »Ich will nicht irgendwelchen Leuten begegnen, das ist alles.« »Deiner Exfrau? Oder einem Polizisten? Meinst du das?« »Einfach irgendwelchen Leuten«, sagte er. »Ich will keinem begegnen, okay? Wo ist das Problem? Siehst du das Einkaufszentrum? Also, bitte, da ist das verdammte Einkaufszentrum.«) Sie blieb eine gute Stunde oder noch länger verschwunden. Der Asphalt verströmte Hitze, bis der ganze ozeanische Parkplatz in der Hitze waberte und verschwamm. Wegen der Klimaanlage ließ er den Motor laufen, bis dieser zu heiß wurde und ihm nichts anderes übrigblieb, als die Fenster herunterzulassen – und da war dieser Geruch, der Geruch seiner Kindheit, der Geruch all der Jahre, in denen er nicht gewußt hatte, daß der Rest der Welt existierte. Leute stapften vorbei, eingeschlossen in ihren privaten Groll und die immer engeren Hinterzimmer ihrer Persönlichkeiten, Mütter mit ihren Kindern, Juden und Italiener mit dunklen Haaren und dunklen Augen, Punks mit ihren Turnschuhen und die Mädchen, denen sie sich zeigten. Alles nur eine Vorführung.
    Mit einemmal kam ihm die Einsicht, daß er verrückt war, vollkommen verrückt. Hier kannte ihn niemand. Er konnte einfach dort hineingehen und alle Blumen kaufen, die sie hatten, und Kartons voller Wodka. Er konnte den Wodka hier auf dem Parkplatz aus der Flasche trinken. Na klar. Und festgenommen werden. Festgenommen und eingelocht werden, weil er gegen die Bewährungsauflagen verstoßen hatte, weil er keinen Unterhalt gezahlt hatte und mit der Harley abgehauen war – und wer konnte wissen, was sie sonst noch alles ausgraben würden. Wenigstens die Pappschilder mit dem Händlerzeichen und den verchromten Kennzeichenhalter mit dem Namen Bob Almond und der Adresse in Larkspur hatte er abmontiert, denn die erregten zuviel Aufmerksamkeit. Wenn irgend jemand was von ihm wollte – die vorläufige Zulassung klebte, gemäß kalifornischer Verordnung, rechts unten an der Windschutzscheibe, und die Kennzeichen waren unterwegs. Trotzdem würde er den Wagen in New York zulassen müssen. Wer ohne Kennzeichen unterwegs war, schrie geradezu nach einer Polizeikontrolle. Gut, morgen also. Morgen würde er sich darum kümmern. Und dann fiel ihm ein – es sprang ihn an, es hämmerte mit einer Art heißer Panik auf ihn ein, die seinen Magen abermals flattern ließ –, daß er aussteigen und ins Einkaufszentrum gehen mußte, in eines der Geschäfte, denn über all diesen Gedanken hatte er vergessen, etwas zu besorgen, ein Spielzeug, eine Puppe, Süßigkeiten, irgend etwas, was er Sukie mitbringen konnte, seiner süßen

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