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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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EINS
    Er war so eingesponnen in den Augenblick, er konzentrierte sich so sehr auf die Gesichter an der offenen Tür, war sich der herausgeputzten, weiblich gerundeten Erscheinung an seiner Seite so sehr bewußt, war von dem Stofftier, den Pralinen, den Blumen und den nicht unbedingt zusammenhängenden, nur halb formulierten Phrasen, die er gleich murmeln würde, so sehr in Anspruch genommen, daß er es nicht kommen sah. Er blickte sich nicht um. Er peilte nicht die Lage. Er hielt sich nicht den Rücken frei. »Hallo, Schätzchen«, würde er gleich sagen. »Kennst du mich noch?« Würde ihr Gesicht erstrahlen wie damals, als er das Herz, die Seele, der wärmende Mittelpunkt ihrer Welt gewesen war, oder würde sie ihn mit kalter Verachtung strafen? Und seine Mutter. Seine Mutter mit der neuen Frisur und der weiten, dünnen Bluse, die sich an den Hüften bauschte, dem schlaff hängenden Rock und den Streichholzbeinchen. »Hallo, Mom«, würde er sagen, »das ist Natalia. Meine Verlobte. Meine Verlobte Natalia.« Und Natalia würde Sukie beäugen, zwei und zwei zusammenzählen und sich schon mal zurechtlegen, was sie dazu zu sagen hatte, daß ihre eigene Tochter in ein überteuertes Tagescamp am Ende eines Feldwegs, der den Wagen jeden Tag mit einer Staubschicht überzog, abgeschoben war, sich dabei aber zusammenreißen, um vor seiner Mutter einen guten Eindruck zu machen, noch ganz benommen vom Klang dieser drei magischen Silben: Verlobte . Das alles nahm er wahr. Das und die Hitze.
    Er hatte das Stofftier – ein lächerliches Ding, das größte, das sie gehabt hatten, ein lebensgroßer Schlittenhund, komplett mit blauen Glasaugen – vom rechten in den linken Arm genommen, um mit Natalia Hand in Hand zur Haustür zu gehen, als da plötzlich noch ein anderes Gesicht war, zwei Gesichter, die mit einemmal am Rand seines Blickfelds auftauchten. Sein Gesicht und ihr Gesicht. Er wandte den Kopf nach rechts, und für einen kurzen Augenblick geschah gar nichts. Dann durchfuhr ihn der Schock wie ein Messer. Es war, als wäre er wieder zehn und zum erstenmal in einem Horrorfilm ab sechzehn, Totenstille im Kino, der Verrückte auf freiem Fuß, und dann der Schrei – gellend, animalisch, an uralte Instinkte appellierend. Anschwellend.
    Der Stoffhund fiel zu Boden. Er ließ Natalia los, noch während sie fragte: »Was? Was ist passiert?« und den Kopf wandte, um seinem Blick zu folgen und sie auf dem Bürgersteig, keine sechs Meter entfernt, stehen zu sehen wie Gestalten aus einem Traum, einem schlechten, einem entsetzlich schlechten Traum, dem schlimmsten, den man sich vorstellen konnte, und obwohl er cool war, immer cool – Peck Wilson verlor nie die Fassung, war nie ratlos, nie schwach –, hatte er sich diesmal nicht im Griff.
    Er wunderte sich nicht, wie sie ihn gefunden hatten, er dachte nicht daran, daß sie wie Parasiten waren, die ihn nicht in Ruhe ließen und ihre Lektion nie lernen würden, ganz gleich, wie oft er sie ihnen erteilte, denn dieser Augenblick war jenseits von Denken, jenseits von Angst oder Wut. Es war ein Augenblick, der mit einem unvermittelten Aufwallen von Gewalt in ihm losbrach. Zehn Schritte, so schnell wie ein Wimpernschlag. Anstelle seines Herzens schlug in seiner Brust jetzt das Herz des Panthers, von dem sein Taekwondo-Lehrer immer gesprochen hatte, und seine Hände waren nicht mehr seinem Willen unterworfen und taten, was sie zu tun hatten. Perfekte Balance. Und dieser Idiot kam tatsächlich auf ihn zu, gestikulierend wie eine Schwuchtel. Er beschimpfte ihn – »Arschloch« und dergleichen –, als hätte er Atem zu verschwenden. Nach dem ersten Schlag – dem sonnal mok anchigi , dem Messerschlag an den Hals – taumelte er, dann kamen zwei kurze Schläge, die seine Arme schlaff herabhängen ließen. Und schließlich die Drehung auf dem linken Fuß und der Tritt mit dem rechten gegen den Kehlkopf.
    Jemand schrie. Die Hitze stürmte auf ihn ein, ein alles umspülendes Meer aus Hitze auf dem Scheitelpunkt der Flut. Noch ein Schrei. Es war nicht Natalia, die schrie, auch nicht seine Mutter oder Sukie. Es war ein Schrei, wie er ihn noch nie gehört hatte – häßlich, einfach häßlich. Die Schlampe war es, die ihn ausgestoßen hatte. Sie stand da und sah zu, wie Bridger Martin sich auf dem Rasen wand und seinen Hals umklammerte, als wollte er sich selbst erwürgen. Zwei rasche Tritte gegen die Rippen, um ihn zu erlösen, und dann waren sie nur noch zu zweit. Dana Halter in Shorts und

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