Talk Talk
anfing und dann immer mehr abnahm, erklären, um was es hier ging. Wo war er? Wo? Die Antwort kam einen Augenblick später, als ein Rettungswagen mit blitzenden Lichtern am Bordstein hielt und P. Runyon Danas Arm kurz losließ und den Fahrer wütend weiterwinkte, indem sie mit zwei hackenden, wegwerfenden Bewegungen die Straße entlang zeigte. »Wer –?« fragte Dana, brachte den Gedanken jedoch nicht zu Ende.
P. Runyon holte die Handschellen hervor, schwenkte sie vor Danas Gesicht und forderte sie auf, sich zu beruhigen, sonst bleibe ihr nichts anderes übrig, als sie in Gewahrsam zu nehmen. In diesem Augenblick traf die Dolmetscherin in einem schwarzen Wagen mit dem Emblem der Stadt auf der Tür ein. Sie war klein, jung und adrett, und als sie über die Straße auf sie zukam, war ihr Gesicht bereits in Bewegung. »Worum geht es?« fragte sie und machte gleichzeitig die entsprechenden Gebärden.
»Er hat mich gejagt. Er wollte mich verletzen. Peck«, sagte Dana, »Peck Wilson.«
Die Dolmetscherin sah P. Runyon an, die nur die Schultern zuckte. »Davon redet sie schon die ganze Zeit. Sie ist völlig durchgeknallt.«
Die Dolmetscherin wendete sich zu Dana und schloß die Polizistin aus. Wer ist Peck Wilson?
Ein Dieb. Er hat meine Identität gestohlen. Und er hat mich gejagt, er hat –
Wo ist er?
Wo ist er? Die Frage durchfuhr sie wie ein Messer. Sie wußte nicht weiter, sie konnte der Frage nicht ausweichen, ebensowenig wie dieser Wut, dieser Erbitterung, dieser perversen Ironie, die wie eine Art kosmischer Witz war, und plötzlich schluchzte sie. Die Dolmetscherin ließ die Arme sinken, hob sie dann wieder und umarmte sie. Es war ein von der Zeit losgelöster Augenblick – sie stand da, inmitten von Fremden umarmt von einer Fremden, und dann löste sie sich sanft von ihr. Sie strich sich nicht das Haar aus dem Gesicht, rieb sich nicht die Tränen aus den Augen, sondern hob die rechte Hand zur Stirn und führte sie mit offener Handfläche im Bogen nach außen: Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, wo seine Mutter wohnt.
Im Krankenhaus saß sie zwischen der Dolmetscherin und einem Beamten der Polizei von Peterskill auf einem harten Plastikstuhl in der Notaufnahme. Es war später Nachmittag, Samstag nachmittag, und als der Abend begann, ließ der Strom der Patienten, die sich blutige Tücher an Schienbeine, Arme oder Stirnen drückten, kurzzeitig etwas nach, bevor die Nacht mit ihren alkoholbefeuerten Traumata einsetzte. Sie fühlte sich schwach und zittrig – sie hatte drei Dosen Diätcola getrunken und war noch immer durstig –, und ihr rechtes Knie brannte. Man hatte Steinchen und Schmutz aus der Wunde entfernt und sie verbunden. Auch am linken Knie trug sie einen Verband, doch das rechte schien am meisten abgekriegt zu haben, jedenfalls war der Schmerz dort. Die Dolmetscherin hieß Terri Alfano, war sechsundzwanzig und hatte dunkle, weit auseinanderstehende Augen, die Danas Schmerz und Verwirrung aufnahmen und ihr dafür die Absolution erteilten, und Dana wußte nicht, wie sie all das ohne sie hätte bewältigen sollen. Terri hatte sie um Erläuterungen zum zeitlichen Ablauf des Vorfalls gebeten, und der Polizist, der, Stift und Block schreibbereit, die Frage gestellt hatte, schien mit seinen Gedanken woanders zu sein, während sie hin und her gebärdeten.
Es ging jetzt nicht mehr um Peck Wilson, seine Mutter, seine Frau oder den bordeauxroten Mercedes, den die Polizei bis zur Klärung des Besitzverhältnisses beschlagnahmt hatte – die Sorge, die Angst, die mit dumpfem, widerhallendem Schrecken in ihr pochte, galt vielmehr Bridger. Er war irgendwo jenseits der Schwingtür hinter dem Empfangstresen, jenseits der Patienten, die mit ausdruckslosen Gesichtern zusammengesunken auf den aufgereihten Plastikstühlen saßen, jenseits des an der Wand montierten Fernsehers, in dem – auch dies eine Manifestation perverser Ironie – ein überkandideltes Drama um Ärzte in einer Notaufnahme lief. Man hatte ihr nicht viel gesagt, und das wenige hatte sie nicht verstanden, bis Terri Alfano es ihr aufgeschrieben hatte: Bridger hatte offenbar Atemschwierigkeiten, weswegen man einen Luftröhrenschnitt vorgenommen hatte. Er hatte eine Kehlkopflähmung, und sie mußten ihn operieren, um den Atemweg freizumachen und die eingedrückte Luftröhre wiederaufzurichten. Das war das Problem. Deswegen saß sie hier und sah auf die Uhr, die Schwingtür und das Gesicht der Schwester am Empfang, wenn deren Kopf zum Telefon
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