Talk Talk
auf. Und als sie spürte, daß hinter ihr die Tür aufging, schrie sie beinahe auf – vielleicht schrie sie auch tatsächlich auf, doch dann sah sie, daß es nur Terri war, die, noch halb im Schlaf, mit ausdruckslosem Gesicht und hängenden Schultern unter dem gefütterten Stoff ihres hellblauen Morgenmantels zum Badezimmer ging. Alles in Ordnung? gebärdete sie automatisch.
»Tut mir leid, ich habe anscheinend geträumt«, log Dana. Jedes Wort war eine Abstraktion, die kein Mensch verstehen konnte, jedes Wort stammte von einem Stück Papier und wurde hoffnungsvoll aus einem uralten Gefäß in ihrem Gedächtnis hervorgekramt, so wie Bridger in dem Taco-Lokal oder an der Kasse der Autowaschanlage sein High-School-Spanisch hervorgekramt hatte. Er hatte gesagt, er sei immer erleichtert – oder nein, nicht bloß erleichtert, sondern regelrecht verwundert, wenn die Leute ihn verstünden; es war, als würden sie in einem Code kommunizieren, der nur in diesem einen vom Glück gesegneten Augenblick entzifferbar war.
Die Badezimmertür schloß sich hinter Terri, und es war, als wäre sie nie dagewesen, eine körperlose Erscheinung, die wieder verschwunden war, und da war abermals diese Bewegung am Fenster, die Bewegung, die sie geweckt hatte, doch es war nicht Peck Wilson, der noch immer auf freiem Fuß war und sie aufgespürt hatte, um zu Ende zu bringen, was er begonnen hatte, und es war auch kein Nachbild ihres Traums, sondern bloß ein Eichhörnchen, fett vom vielen Futter, das der Hochsommer bereithielt. Es nickte und rieb die Pfoten im dunklen Schimmer des nassen, seidigen Grases.
Als sie zum zweiten Mal erwachte, war der Himmel noch immer bedeckt. Terri stand, ein sanftes, stummes Lächeln auf den Lippen, mit einer Tasse Kaffee vor ihr. Sie war angezogen und geschminkt, ihr Haar war gekämmt, und sie trug Jadeohrringe, die das wenige trübe Licht einfingen, das von draußen hereindrang. »Ich wollte dich nicht wecken«, sagte sie und reichte ihr die Tasse. »Hier ist auch Milch und Zucker – ich wußte nicht, wie du ihn trinkst.«
»Wieviel Uhr ist es?« fragte Dana, setzte sich auf und nahm die Tasse in beide Hände.
»Halb elf.«
»Halb elf? Ich kann gar nicht glauben, daß wir so lange geschlafen haben.«
»Du warst müde – kein Wunder bei all dem Gerenne.« Ihre Zähne blitzten. Es war ein Witz. »Aber keine Sorge, heute ist ja Sonntag, der einzige Tag der Woche, wo man ausschlafen kann.«
»Was ist mit dem Krankenhaus? Was ist mit Bridger?«
Terris Gesicht, ihr hübsches, bewegliches, lebendiges Gesicht zeigte keine Regung. »Ich hab vor einer Viertelstunde angerufen, aber sie wollten mir nur sagen, daß er schläft. Wir können ihn jederzeit besuchen.«
Der Kaffee war zu heiß, zu bitter – sie trank lieber Tee, und wenn sie doch einmal einen Kaffee nahm, ertränkte sie ihn in Milch –, aber Dana hob die Tasse an den Mund, blies den Dampf weg und dankte Terri, während sie den ersten Schluck trank, mit den Augen. Sie war plötzlich überwältigt. Diese junge Frau mit dem netten, offenen Gesicht, vor vierundzwanzig Stunden noch eine vollkommen Fremde, war jetzt ihre beste Freundin, ein guter Mensch, ehrlich, fürsorglich, mitfühlend – Mutter Vater taub –, und dafür war sie dankbar, unendlich dankbar, so dankbar, daß sie den Tränen nahe war. Aber Terri war auch eine Krücke – darauf hätte ihre Mutter sie sogleich hingewiesen. »Du brauchst für mich nicht den Babysitter zu spielen«, sagte Dana.
Terri trank aus einem Souvenirbecher. Die Wörter »Fort Ticonderoga« standen in roter Schrift auf einer rings um den Becher verlaufenden Palisade. »Das ist kein Problem. Und denk bloß nicht, daß ich dein Babysitter bin. Ich will dir nur helfen, das ist alles.«
Dana mußte unwillkürlich lächeln. »Über den Rahmen und die Anforderungen der Pflicht hinaus?«
Terri zuckte die Schultern. »Klar«, sagte sie. »Warum nicht?«
»Hast du nichts Besseres zu tun?«
»Ich weiß nicht. Wie wär’s mit Frühstück? Eier? Müsli?«
Dana schwang die Beine von der Matratze, griff nach den Shorts, die auf dem Boden lagen, und zog sie an. Sie brauchte eine Dusche. Ihre Haut prickelte von getrocknetem Schweiß – sie fühlte sich, als hätte man sie in Puderzucker gewälzt wie einen Doughnut –, aber duschen konnte sie später. »Nein«, sagte sie und blickte von den Schuhen auf, die sie gerade zuband, »mach dir keine Mühe« – sie hob eine Hand, um die vorhersehbare Antwort abzuwehren –,
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