Talk Talk
schwerer als Luft, als wäre er ein ganz eigenes Medium: Leim, Blei, vulkanische Asche. Bridgers Bemühungen waren erfolglos. Jeder, der ihn betrachtete, hätte sofort gemerkt, daß er Dana anstarrte wie hypnotisiert. Natürlich sah er lässig aus in seinen kaum je gewaschenen Jeans, den in Auflösung begriffenen Nikes und dem Digital-Dynasty-T-Shirt, auf dem ein leuchtend orangeroter Außerirdischer lüstern grinsend über die Schulter sah, ganz zu schweigen von seinem Haar, das so weit nachgewachsen war, daß einzelne Strähnen wie Zähne aufragten, doch von Lässigkeit war er weit entfernt. Was er empfand, noch bevor Deet-Deet beinahe blindlings die Hand eines puppengroßen Mädchens in einem gelben Oberteil ergriff und auf die Tanzfläche gezogen wurde, war jene eigenartige Anspannung – Unruhe, Angst vor Zurückweisung, die Qual der Anziehungskraft –, die er schon lange nicht mehr gespürt hatte.
Er wartete drei mittelmäßige Stücke lang, bis er einigermaßen sicher war, daß sie ohne Begleitung hier war, außer vielleicht einer Freundin, die ihren weißblonden Pferdeschwanz aufgesteckt hatte, und dann begann er, die Schultern zu bewegen und sich vom Rhythmus tragen zu lassen, während er sich durch die Menge auf der Tanzfläche schob. Ein endloses Stück lang tanzte er ihr gegenüber, er kam richtig ins Schwitzen und pumpte die Reste des Sake von den Beinen in den Kopf, bis sie ihn endlich bemerkte, und zwar mit einem überraschten Blick, gefolgt von einem offenen Lächeln. Was er als gutes Omen auffaßte. Nach dem nächsten Stück rief er ihr etwas zu, und sie rief etwas zurück (Mir gefällt die Art, wie du dich bewegst – Gutes Stück, hm? – Wie war noch mal dein Name?) , und die wunderbare, die erstaunliche und unübertreffliche Sache war die: Er hatte keine Ahnung, daß sie taub war. Denn er war ja auch taub – alle waren taub, jedenfalls bis die Lichter angingen und der DJ das Donnern verstummen ließ.
Deet-Deet war verschwunden, und Bridger stand Hand in Hand mit Dana in der sich verlaufenden Menge und spürte den sanften Druck ihrer Finger, während sie ihn dem Mädchen – der Frau – mit dem Pferdeschwanz und einer anderen Frau vorstellte, die er gar nicht bemerkt hatte: Mindy und Sarah, Freundinnen von ihr, die in derselben Wohnanlage wohnten, und er hatte Glück, Riesenglück, denn normalerweise ging sie montags nie aus, aber heute war ihr Geburtstag. Ja, sie war zweiunddreißig – sie verzog das Gesicht. War das nicht uralt? Nein, nein, widersprach er, überhaupt nicht. Gar nicht. »Nein?« sagte sie, und ihr Gesicht öffnete sich ihm, das ausdrucksstärkste, sinnlichste, hübscheste Gesicht, das er je gesehen hatte, und ja, er bemerkte den Akzent, hielt ihn aber für skandinavisch oder vielleicht osteuropäisch. »Und wie alt bist du?« Er war achtundzwanzig. Sie grinste noch immer, und ihre Augen glitten über sein Gesicht. »Siehst du?« rief sie triumphierend und warf Mindy und Sarah einen Blick zu, bevor sie wieder ihn ansah. »Du bist geradezu ein Baby.«
Irgendwie kam es nicht zum Austausch von Telefonnummern, aber trotz der Nachwirkungen des Sakes gelang es ihm, sich ihren Namen zu merken, und zu Hause sah er im Telefonbuch nach: D. Halter, Pacific View Court 31. Am nächsten Morgen rief er sie an, um sie zum Abendessen einzuladen, aber niemand nahm ab, und der Anrufbeantworter bat ihn mit Danas hohler, monotoner Stimme, keine Nachricht zu hinterlassen, sondern eine E-Mail zu schicken, und dann folgte eine Hotmail-Adresse. Sobald er in der Arbeit war, schrieb er eine E-Mail, irgendwie erleichtert, daß ihm die Unsicherheit, die potentielle Peinlichkeit des direkten Kontakts erspart blieb – schließlich kannte er sie ja kaum, und sie würde ihn vielleicht zurückweisen, sie war vielleicht verheiratet, verlobt, uninteressiert oder so pathologisch karrierefixiert, daß etwas anderes für sie gar nicht existierte –, und nachdem er ein, zwei witzige Zeilen über den gestrigen Abend getippt hatte, versuchte er sein Glück. Zu seiner Überraschung antwortete sie innerhalb weniger Sekunden – Ja, das ist genau das richtige: Italienisch. Aber versprich mir, daß ich danach all die Pasta nicht wieder wegtanzen muß – und beschrieb ihm den Weg zu ihrer Wohnung.
Die Anlage war hübsch, hübscher als die, in der er wohnte, und lag an einer Hügelflanke mit altem Bewuchs – Strelizien, Platanen, Palmen aller Art und Größe –, aber die Nummern waren anscheinend völlig
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