Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Verwechslung handelt. Meine Mandantin ist Lehrerin hier in San Roque, sie ist behindert und hat keinerlei Vorstrafen. Sie ist irrtümlich verhaftet worden, Euer Ehren, und mußte das Wochenende im Bezirksgefängnis verbringen, und ich bin sicher, wenn wir von den Strafverfolgungsbehörden, die die Haftbefehle ausgestellt haben, Faxe mit Fingerabdrücken und Fotos anfordern, wird sie noch heute nachmittag wieder auf freiem Fuß sein.«
    Jetzt sah Bridger die zweite Gestalt, die in der Reihe vor Dana stand: einen wie aufgezogen wirkenden Mann, der beinahe so klein wie Deet-Deet war und das Gesagte in Gebärdensprache übersetzte. Seine Hände drehten und bewegten sich in kleinen Gebärden, er drückte die Ellbogen an den Oberkörper und wartete auf die Antwort der Richterin.
    Bridger beobachtete die Ehrenwerte Kathleen McIntyre. Sie zog die Augenbrauen zusammen und sah von der Pflichtverteidigerin zum Dolmetscher und schließlich zu Dana, die Stirn unter dem professionell getönten und gefönten, locker fallenden Haar gerunzelt. »Nun gut, Frau Anwältin«, sagte sie und stieß einen verärgerten Seufzer aus, »dann sehen Sie, was Sie zutage fördern können, und wenn Sie irgend etwas Verwertbares haben, machen wir weiter.«
    Endlich fiel Danas Blick auf ihn – sie entdeckte ihn, sie faßte ihn ins Auge, es war unverkennbar. Sie sah ihn im Gerichtssaal sitzen, wo er tat, was er tun konnte – doch aus ihrem Gesicht sprachen weder Liebe noch Dankbarkeit oder Erleichterung. Sie sah ihm in die Augen, es war ein brennender, bohrender Blick, und dann wandte sie sich ab.

FÜNF
    Sie verließen das Bezirksgefängnis um vier Uhr morgens. Beim Einsteigen in den Bus erhielt jede eine braune Papiertüte mit Frühstück, bestehend aus Weißbrot mit Schmelzkäse, einer vertrockneten Mandarine und Fruchtsaft, und Dana aß alles restlos auf, wobei sie darauf achtete, nicht mit dem schmerzenden Zahn zu kauen, und leckte danach ihre Finger ab. Sie spürte einen leisen Optimismus: Sie waren in Bewegung, das Räderwerk der Justiz kam in Gang, der Bus schwankte und schaukelte, und die Drahtgitter schlugen mit dem Rattern eines Maschinengewehrs an das Sicherheitsglas. Es war ihr gleichgültig, wohin sie fuhren, solange der Abstand zwischen ihr und diesem Höllenloch wuchs. Man ließ den Kopf an die Rücklehne sinken, schloß die Augen und streckte die Beine aus. Durch die Bodenbretter sickerte Abgasgeruch, und das war eine kleine Wohltat, denn er überdeckte die menschlichen Ausdünstungen. Licht kam nur von der grünlichen Armaturenbeleuchtung und dem bleichen Schimmer der Scheinwerfer, und darauf konzentrierte Dana sich. Die anderen mochten schlafen, doch sie saß kerzengerade und erwartungsvoll da und starrte an der Silhouette des Fahrers vorbei dorthin, wo das dunkle Band der Straße sich entrollte und Hügel und Bäume dem bernsteingelben Licht der Straßenbeleuchtung und den schemenhaften Dächern von Wohnanlagen und Einfamilienhäusern wichen, wo Menschen schliefen und träumten.
    Der Bus hielt vor dem Gerichtsgebäude, ein Polizist mit Schrotflinte bewachte sie, während sie durch einen Korridor in eine Gemeinschaftszelle schlurften, die vermutlich in der Nähe des Gerichtssaals lag. Sobald sie sicher verwahrt waren, nahm ein Wärter ihnen die Handschellen ab, und sie konnten sich frei bewegen und zu Gruppen zusammenfinden. Dana hielt sich abseits oder versuchte es jedenfalls. Sie ging zu einer der hinteren Ecken der Zelle, setzte sich auf den Boden und vermied jeden Blickkontakt, doch das dicke Mädchen war so lästig wie Schorf auf einer Wunde und tauchte alle zwei Minuten in Danas Blickfeld auf, und Angela ging mit zur Nikotingeste gespreizten Fingern von einer Gruppe zur nächsten, bis sie sich schließlich neben Dana niederließ und einen mit Spucketröpfchen durchsetzten Monolog hielt, dessen Thema – oder waren es mehrere? – Dana ein Rätsel blieb. Den ganzen langen Morgen bis zum frühen Nachmittag geschah gar nichts, doch dann kam Leben in den Raum, die Atmosphäre begann zu knistern, als wäre ein Schalter umgelegt worden, und kurz darauf trat ein Mann vom Pflichtverteidigerbüro in die Zelle und hielt eine Ansprache, von der Dana absolut nichts verstand. Kurz darauf erschien Iverson, begleitet von einer Frau mit Aktenkoffer, und bahnte sich zwischen den anderen Gefangenen hindurch einen Weg zu Dana.
    Und was empfand sie, als sie ihn, der suchend hierhin und dorthin spähte, erblickte? Freude. Reine Freude. Vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher