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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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stellen und den Schmutz abschrubben, bis das Wasser kalt wurde, und dann würde sie Dr. Koch anrufen und auf dem kürzesten Weg zur Verwahrstelle für beschlagnahmte Wagen fahren, wo immer die war, und die Hausarbeiten vom Rücksitz holen. Schon bei dem Gedanken daran durchfuhr es sie: Wie sollte sie das aufholen? Es war verrückt. Wie in den Alpträumen, die sie morgens kurz vor dem Aufwachen hatte und in denen sie unvorbereitet, ohne Plan, mit wirrem Haar vor ihrer Klasse stand und ihre Kleider in einem Haufen zu ihren Füßen lagen. Nackt. Erstarrt. Unfähig zu sprechen, sei es mit den Händen oder dem Mund.
    Sie war so erregt, daß sie Bridger beinahe vergessen hätte. Aber da war er, eilte durch den Korridor auf sie zu, als sie mit Marie Eustace und Iverson und der frisch gestempelten Erklärung aus der Tür trat, und sein Gesicht war voller Liebe und Mitgefühl. Sie ließ sich von ihm umarmen, obwohl sie sich für ihren Körpergeruch schämte und wütend auf ihn war: Warum hatte er nichts unternommen? Er sagte etwas, doch das war ganz sinnlos, denn sie spürte nur seinen Atem, als er sie an sich drückte, und dann hielt sie ihn auf Armeslänge von sich ab und gebärdete: Wie konntest du mich nur da drin lassen?
    Seine Gebärden waren unbeholfen, kaum lesbar. Er hatte einen Kurs in Gebärdensprache gemacht, aber seine Hände waren wie Schmiedehämmer, die die Worte erschlugen. Ich hab’s versucht.
    Du hast es nicht genug versucht.
    In diesem Augenblick schaltete sich ein Justizwachtmeister in einem braunen Hemd ein. Er sagte etwas zu Marie Eustace und Iverson, und dann drehte Marie sich um und sah Dana entnervt an. Sie rollte die Augen und stampfte mit dem Fuß auf. »Was ist?« sagte Dana. »Was ist jetzt?«
    »Sie werden es nicht glauben«, sagte sie, und ihr entschuldigender Blick ging zwischen dem dolmetschenden Iverson und Dana hin und her, »aber... tja, ich fürchte, Sie müssen zur Entlassung zurück ins Bezirksgefängnis.«
    Dana schüttelte den Kopf. Sie schüttelte ihn heftig. Hin und her. Das verstanden sie ja wohl, oder? »Nein«, sagte sie und spürte, daß ihre Stimme laut wurde und ihren Kehlkopf zusammenpreßte, bis er sich wie ein praller kleiner Ball anfühlte. Dann wandte sie der Rechtsanwältin und dem Justizwachtmeister den Rücken und gebärdete wütend zu Iverson: Ich bin unschuldig, das habe ich schriftlich, und ich werde nicht dorthin zurückgehen, niemals, und niemand, nicht Sie oder irgend jemand anders, sollte versuchen, mich dazu zu zwingen!
    Iverson machte ein Gesicht wie ein schlechter Schauspieler, seine Hände stockten und stotterten, als er für die Anwältin übersetzte. Dana weigerte sich, sie anzusehen, obwohl Marie Eustace zu ihr sprach, obwohl sie ihr eine Hand auf den Arm legte, bis Dana sie abschüttelte. Sie sah nur Iverson an. Es führt kein Weg daran vorbei , sagte er. Das Gesetz verlangt es, ganz gleich, ob einer unschuldig ist oder nicht. Man hat Sie im Bus hierhergebracht und muß Sie im Bus zurückbringen. Sie müssen diese Sachen zurückgeben und Ihre eigenen Kleider und Ihr persönliches Eigentum in Empfang nehmen, und dann gibt es noch ein paar Formulare –
    Nein , gebärdete sie, nein. Ich gehe nicht. Voller Wut ließ sie ihre Hände verstummen, begann, an dem Overall zu reißen, und rief so laut, daß alle es hören konnten, der Wachtmeister und Bridger und die Richterin in ihrem Richterzimmer: »Dann nehmt doch das Scheißding! Dann gehe ich eben nackt hier raus! Das ist mir egal, das ist mir egal!«
    Letztlich war es ihr nicht egal – sie wurde gezwungen, es sich nicht egal sein zu lassen. Der Wachtmeister trat vor und sagte, sie befinde sich noch immer in Gewahrsam, und er werde sie, wenn nötig, zwingen. Marie Eustace’ Gesicht war wütend. Sie blies Luft in die Richtung des Wachtmeisters, und Iverson übersetzte die Drohung, und Bridger nahm Dana in die Arme, als wollte er sie mit seinem Körper abschirmen. Sie war noch nie im Leben so wütend gewesen. Die Absurdität – es war wie aus einem Roman von Kafka, oder schlimmer: wie etwas, was nur in einem Polizeistaat passierte, in Kuba, Nord-Korea, Liberia. Doch was sie innerhalb einer Sekunde lammfromm und friedlich machte, war der Anblick der Hand des Wachtmeisters, die Bridgers Handgelenk packte. Sie verstand nicht, was die beiden sagten – ihre Gesichter waren gerötet, ihre Münder in hektischer Bewegung –, doch sie begriff sofort, daß Bridger ganz kurz davor war, selbst verhaftet zu werden,

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