Talk Talk
beruhigend) und auch einige Schritte, die Dana unternehmen könne, um ihren guten Namen wiederherzustellen und vielleicht sogar den Verbrecher seiner Strafe zuzuführen. An diesem Punkt nahm die Frau einen Stift und einen Notizblock aus der obersten Schreibtischschublade. »Also«, sagte sie, »haben Sie irgendeine Vermutung, wer dieser Mann ist oder wie er an Ihre Hauptidentifikatoren gekommen ist?«
Dana wartete, bis Bridger mühsam das Wort »Hauptidentifikatoren« buchstabiert hatte, ein Wort, das sie beide noch nie zuvor gehört oder gelesen hatten. »Nein«, sagte sie und schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Ich habe ihn noch nie gesehen.«
»Haben Sie irgendwann in den vergangenen Wochen Ihre Handtasche verloren? Oder ist sie Ihnen gestohlen worden?«
Sie las die Frage vom Mund der Frau ab und schüttelte abermals den Kopf.
»Was ist mit Ihrem Briefkasten? Ist er sicher? Ich meine: Ist er verschließbar?«
Ja. Die Briefkästen der Wohnanlage befanden sich in einer besonderen Nische, und jeder Mieter hatte einen Schlüssel für seinen Kasten.
»Und in der Arbeit? Bekommen Sie Post in der« – wieder hob die Frau ihre Brille an die Augen und sah in die Unterlagen – »Gehörlosenschule in San Roque?«
Ja. Die Postfächer befanden sich im Hauptbüro, zu dem jeder Zugang hatte. Aber Dana vermißte nichts. Ihre Gehaltsschecks waren regelmäßig alle zwei Wochen gekommen, und auch zu Hause hatte es nie eine Unterbrechung der Zustellung gegeben – jedenfalls war ihr keine bekannt.
Die Frau sah kurz Bridger an. Er hatte sich so sehr auf ihre Worte konzentriert und sich bemüht, sie für Dana zu übersetzen, daß er ganz vergessen hatte, wo er war. Nun sah er, daß es spät war, nach sechs jedenfalls. Die Jalousien leuchteten in prallen Farben, und schmale Finger aus Sonnenlicht waren auf den Wänden, wie Spuren, die ein Dieb hinterlassen hatte. Er dachte an Radko. Er dachte an Drex III . Er dachte daran, daß er nach dem Abendessen weiterarbeiten mußte, und der Gedanke an Essen versetzte seinen Magen in erwartungsvolle Aktivität. Wann hatte er eigentlich zuletzt gegessen?
»Sie müssen wissen«, sagte die Frau und sah Bridger fest an, bevor sie sich wieder an Dana wandte, denn sie wollte sicher sein, daß er gut zuhörte und daß nichts von dem, was sie sagte – ihre Routine, ihre Worte, ihr professionelles Mitgefühl –, verschwendet war, »der Grund, warum ich frage, ist der, daß es in der Mehrzahl der Fälle auf eine verlorene oder gestohlene Brieftasche oder umgeleitete Post hinausläuft. Eine der beliebtesten Vorgehensweisen besteht darin, daß der Dieb sich eine Adresse besorgt – die steht im Telefonbuch oder auf der Visitenkarte – und bei der Post einen Nachsendeantrag stellt. Er leitet die Post auf ein gemietetes Postfach um und hat dann Zugriff auf Unterlagen wie Kreditkartenabrechnungen, Bankauszüge, Gehaltsschecks und so weiter.«
Sie hielt inne, um zu sehen, welche Wirkung ihre Worte hatten. Die Lichtfinger krochen an der Wand empor. Ihr Gesicht verriet freudige Erregung, vielleicht sogar Triumph: Sie kannte sich aus, sie war nicht gefährdet und würde es nie sein. »Dann braucht er sich nur noch einen Führerschein auf den gestohlenen Namen ausstellen zu lassen. Anschließend bestellt er neue Schecks und neue Kreditkarten, und schon kann er landesweit über durchschnittlich fünftausend Dollar verfügen.«
Bridger dachte an seinen eigenen Briefkasten, der nichts weiter war als ein Schlitz mit der Nummer seiner Wohnung darunter, und wie oft hatte einer der Kretins von der Post irrtümlich die Briefe seines Nachbarn hineingesteckt? Oder damals, als er ein halbes Dutzend Investmentfondsberichte gekriegt hatte, adressiert an eine Frau, die am anderen Ende der Stadt wohnte und mit der ihn nur die Hausnummer – Berton Street 196 und Manzanita Road 196 – und ein Teil der Postleitzahl verband? Wenn er nun ein Verbrecher gewesen wäre?
Dana wurde ungeduldig. Sie wollte Taten sehen. So war sie eben: dranbleiben, keine Zeit verschwenden. »Ja«, sagte sie, und ihre Stimme klang noch hohler und irritierender als sonst, »aber wir wollen wissen, was ich jetzt unternehmen kann.«
Die Frau war für einen Augenblick aus dem Konzept gebracht – dies war eine Abkehr vom Hergebrachten, vom Ritual des Besänftigens und Befreiens –, doch sie fing sich schnell. »Tja, zunächst einmal sollten Sie Anzeige bei der Polizei erstatten. Dann müssen Sie Ihren Kreditgebern Kopien dieser Anzeige
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