Talk Talk
natürlich war das leise, beschwichtigende Gurgeln ihrer Stimme an Dana verschwendet.
Irgendwann – Dana wollte sich nicht setzen, wollte sich nicht beruhigen – holte die Frau aus einem Aktenschrank hinter ihrem Stuhl eine dreistöckige Pralinenschachtel und stellte sie auf den Tisch. »Möchten Sie vielleicht eine Tasse Kamillentee?« fragte sie, hob den Deckel von der Schachtel und sah mit einem strahlenden Lächeln von Dana zu Bridger. »Es hilft«, fügte sie hinzu.
Also aßen sie Pralinen und tranken Tee, und Dana faßte sich so weit, daß sie sich setzen und der Beraterin zuhören konnte. Sie plauderten für ein paar Minuten, nippten an dem Tee und ließen sich Nugat, Karamel und Kirschfüllungen auf der Zunge zergehen. Dann sah die Frau Dana an. »Können Sie von den Lippen ablesen? Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich einen Dolmetscher kommen ließe? Oder kann Ihr Mann –«
»Mein Freund.«
»Natürlich. Kann er dolmetschen?«
»Klar«, sagte Bridger. »Ich kann’s versuchen. Ich hab letztes Semester einen Kurs für Gebärdensprache gemacht, aber ich bin noch ziemlich unbeholfen...« Er lachte, und die Frau lachte mit. Kurz. Sehr kurz. Denn mit einemmal kam sie zur Sache.
»Also, Dana«, sagte sie und breitete die Unterlagen vor sich aus, »wie Sie zweifellos gemerkt haben, sind Sie das Opfer eines Identitätsdiebstahls.« Sie nahm vier Faxe aus dem Aktenordner und schob sie über den Tisch. Auf allen war das Polizeifoto desselben Mannes, und Bridger hatte augenblicklich eine Wut auf ihn. Das also war er: ein Weißer, etwa dreißig, mit einem geleckten kurzen Hipster-Haarschnitt und langen, spitzen Koteletten, und selbst in jenen Augenblicken der Demütigung in einer Polizeiwache in Tulare County oder Marin oder L.A. oder Reno war sein Blick selbstzufrieden. Das war er, der Scheißkerl, der Dana ins Gefängnis gebracht hatte. »Leider«, sagte die Beraterin, und ein bedauerndes Zucken spielte um ihre Mundwinkel, »ist es an Ihnen, sich von den Vorwürfen reinzuwaschen.«
»Das ist er?« fragte Bridger. Seine Stimme war so hart, daß er fast daran erstickte. Sein Leben lang war alles glattgegangen, in der Schule, auf dem College, auf der Filmhochschule, bei Digital Dynasty – er hatte ein entspanntes Videoleben geführt und war am glücklichsten, wenn er auf dem Sofa liegen und sich einen Film auf DVD ansehen konnte oder wenn er im Kino in einem bequemen Sessel saß und der Vorspann lief – Melissa hatte ihn als Filmfreak bezeichnet, und das war kein Kompliment gewesen. Doch in diesem Augenblick spürte er etwas in sich aufsteigen, wie er es noch nie gespürt hatte, denn jetzt war alles anders, jetzt war der Film von der Spule gerutscht, und das Sofa war umgestürzt. Was er spürte, war Haß. Es war Wut. Brennend und zielgerichtet. Das also war dieser Scheißkerl.
Die Frau nickte. An einer Schnur um ihren Hals hing eine Lesebrille, die sie jetzt aufsetzte, um einen Blick auf die Fotos zu werfen. »Seinen richtigen Namen kennen wir nicht. Er könnte schon früher unter allen möglichen Namen festgenommen worden sein.«
»Was ist mit Fingerabdrücken?« fragte Dana unvermittelt.
»Wir haben keinen Abgleich vorgenommen. Die Polizei, meine ich. Das liegt daran, daß...« Sie hielt inne und sah zu Bridger, damit dieser ihr über die traurige Wahrheit hinweghalf. »Tja, es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber ein Verbrechen wie dieses, ein Verbrechen ohne Opfer, rechtfertigt den Aufwand nicht...«
Bridger mußte das meiste mit dem Fingeralphabet buchstabieren. Für »Verbrechen ohne Opfer« brauchte er eine Ewigkeit, aber Dana begriff schnell, was er meinte. »Ohne Opfer?« sagte sie. »Und was ist mit mir? Mit meinem Job? Meinen Schülern? Und was ist mit den vierhundertachtundsiebzig Dollar – wer bezahlt mir die?«
Gute Frage.
Die Erklärung war umständlich, entfernte sich vom Thema und kehrte wieder zu ihm zurück, und das alles dauerte eine Weile. Zunächst einmal: Natürlich sei Dana das Opfer eines Verbrechens, aber sie solle nicht vergessen, wie viele Gewaltverbrechen es im ganzen Staat Kalifornien gebe und wie begrenzt das Personal und die Mittel der Polizei seien. Vergewaltiger trieben ihr Unwesen, Mörder, Serienmörder. Sadisten. Kinderschänder. Das solle natürlich das, was Dana widerfahren sei, nicht verharmlosen, und es gebe ein zunehmendes Bewußtsein für dieses Problem (die Beraterin – wie hieß sie noch mal? – bot Klischees an wie Pralinen oder Tee: Sie wirkten so
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