Talk Talk
schicken, und Sie müssen die Kreditberichtagenturen benachrichtigen und fragen, ob es irgendwelche Unregelmäßigkeiten gibt. Fordern Sie Ihre Kreditberichte an und überprüfen Sie sie genau: Visa, Mastercard und so weiter. Aber erst will ich Ihnen erklären, wie es dazu kommt – damit Sie beim nächsten Mal darauf vorbereitet sind.« Wieder dieser Ausdruck der Verzückung. Sie bog den Rücken durch und sah Dana in die Augen. »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, stimmt’s?«
So ging es weiter, bis Bridger sich zu fragen begann, was sie ihnen eigentlich sagen wollte. Oder wie sie sich dabei fühlte. Ihre Augen leuchteten, und sie wurde immer lebhafter, während sie eine Horrorgeschichte nach der anderen erzählte: von der Frau, deren Selbstauskunft vom Schreibtisch ihres Vermieters verschwunden war und die dann um die dreißigtausend Dollar Schulden hatte – für teure Mahlzeiten und Hotels in einer Stadt, in der sie nie gewesen war, Leasingraten für einen neuen Cadillac, Kaufpreis und Steuer für zwei Rassepudel sowie eine Fettabsaugung, die mit viereinhalbtausend Dollar zu Buche schlug; von dem Zwölfjährigen, dessen Identität der Freund seiner Mutter gestohlen hatte und der dann mit sechzehn, als er einen Führerschein beantragte, wegen Verbrechen verhaftet wurde, die dieser Freund begangen hatte; von dem Rentner, der rätselhafterweise mit einemmal keine Post mehr bekam und dann feststellte, daß man nicht nur in seinem Namen einen Nachsendeantrag gestellt, sondern auch bei allen drei Agenturen seine Kreditberichte angefordert hatte, um nicht nur sein Festgeldkonto abzuräumen, sondern auch seine Pension und die gesammelten zweihunderttausend Vielfliegermeilen zu kassieren. Und das war noch nicht alles: Da der alte Mann – ein kriegsversehrter Korea-Veteran – über kein Einkommen verfügte, wurde er, weil er die Miete nicht mehr bezahlen konnte, vor die Tür gesetzt und mußte als Obdachloser auf der Straße leben und in Müllcontainern wühlen.
»Wie schrecklich«, sagte Bridger, nur um etwas zu sagen. Dana saß steif neben ihm.
»Dabei ist das nur die Spitze des Eisbergs«, verkündete die Beraterin. »Und in Ihrem Fall« – sie wandte sich an Dana – »ist es noch schlimmer, möglicherweise jedenfalls, denn bei Ihnen geht es nicht um einen simplen Identitätsdiebstahl, bei dem ein Drogensüchtiger oder Vorbestrafter schnell Kasse macht und dann verschwindet, sondern um etwas, was wir Identitätsübernahme nennen.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Dana. Die Lichtfinger krochen an der Wand hinter ihr empor, und ihr Gesicht wurde von unten beleuchtet. »Was wird übernommen?« Sie wandte sich zu Bridger. Er versuchte, ihr den Sachverhalt zu erklären, aber die Frau schrieb das Wort einfach auf ein Stück Papier und schob es über den Tisch.
»Identitätsübernahme«, wiederholte sie. »Das heißt, daß jemand eine zweite Person namens Dana Halter wird. Er lebt monate-, manchmal jahrelang als Sie, unter Ihrem Namen. Und wenn er sich ruhig verhält und keinen Ärger mit der Polizei bekommt, dann findet man ihn vielleicht nie.«
»Jetzt verstehe ich nicht«, hörte Bridger sich sagen. »Warum sollte jemand das tun – die Identität eines anderen übernehmen –, wenn er nicht einen Kreditkartenbetrug oder so abziehen will? Ich meine, wozu sonst?«
Die Frau zuckte die Schultern. Sie betrachtete das Telefon auf dem Schreibtisch, als könnte es ihr eine Antwort geben. Mit energischen, abschließenden Bewegungen legte sie die Kopien wieder zu den Akten und sah dann auf. Ihre Augen waren klar und grau und leuchteten seltsam erregt, und sie richteten sich erst auf Bridger und dann auf Dana. »Stellen Sie sich mal vor«, sagte sie mit leiser Stimme, »Sie sind pleite, haben keinerlei Ausbildung und sind mit den Alimenten im Rückstand, Sie haben ein Vorstrafenregister, und Ihr Kreditbericht ist hoffnungslos – vielleicht haben Sie einen Kredit nicht zurückgezahlt, einen Offenbarungseid geleistet oder ein Geschäft an die Wand gefahren. Und dann finden Sie jemanden, der solide ist – jemanden wie Sie, Dana –, mit guten Kreditreferenzen und höherer Schulbildung und ohne Eintrag im Strafregister. Sagten Sie nicht, daß Sie promoviert haben?«
Dana sah Bridger an. Er übersetzte: Du Universität abgeschlossen, stimmt’s?
»In Gallaudet«, sagte Dana. Ihre Stimme hallte tonlos von den Wänden wider. Sie setzte sich auf und reckte die Schultern. Zum ersten Mal an diesem Nachmittag war auf
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