Talk Talk
Sie ein unwiderstehliches Angebot: unseren Super-Deluxe-Standmixer mit drei Geschwindigkeiten für neununddreißig fünfundneunzig, nur solange der Vorrat reicht! –, und das Gequatsche lenkte ihn ab. Madison hing im Zuckerrausch wie eine Rinderkeule an seinem linken Arm, das Haar wirr, das Kinn schokoladeverschmiert, und rief unablässig: Ich will, ich will, ich will , und wo war eigentlich Natalia? »Moment«, sagte er, »ich kann nichts verstehen.«
Er sah sich kurz um, das Handy in der einen und Madison an der anderen Hand. Es herrschte das übliche Chaos: Kinder rannten herum, dicke Menschen schoben Einkaufswagen, hochbepackt mit allem möglichen Mist, durch die Gänge, als handelte es sich um eine Art Wettstreit – Köpfe, Rücken, Schultern, Bäuche, Hintern –, und in der Luft hing der Gestank von künstlichem Butteraroma und zu Gummiklumpen gegrillten Hot dogs. Er entdeckte eine kleine Oase der Ruhe hinter der Herrenabteilung und hob das Handy wieder ans Ohr. »Ja? Hallo?«
»Dana?«
»Ja. Wer ist da?«
Ein ganz kurzes Zögern, und dann begann die Stimme am anderen Ende logorrhöisch zu sprudeln: »Hier ist Rick. Ich wollte noch mal auf die Sache zurückkommen, von der du letztens erzählt hast...«
Er kannte die Stimme nicht. Er kannte keinen Rick. Madison schraubte ihre Tonlage zu einem zuckergesättigten Falsett: »Ich will ein Henrietta-Pferdchen. Bitte. Bitte, Dana, bitte!«
»Rick wer?«
»James, Rick James. Du weißt schon, neulich abend in der Bar. Die in der... wie hieß noch mal die Straße?«
Mit einemmal war es ganz still, die Lautsprecher schwiegen, Madison bewegte den Mund, ohne daß ein Ton zu hören war, die Kinder mit den nackten Beinen rannten lautlos durch die Gänge, und selbst die Babys mit den wutroten Gesichtern hielten mitten im Schreien inne. Es fühlte sich an, als hätte ihn einer mit einem Messer aufgeschnitten. Und er zitterte, ja, tatsächlich, er zitterte, als er auf den Aus-Knopf drückte und das Handy in den Spalt hinter einer Vitrine mit Unterwäsche schob.
Sein erster Gedanke war, daß er Natalia finden und sie rauslotsen mußte, raus zum Wagen, und dann nichts wie weg, doch er kämpfte den Impuls nieder. Es war nichts – oder nein, es war etwas, ganz eindeutig, etwas Schlechtes, aber es gab keinen Grund zur Panik. Sie hatten also seine Nummer – das war eigentlich unvermeidlich. Er würde sich eben ein anderes Handy besorgen, kein Problem. Aber was, wenn sie die Verbindung irgendwie verfolgt hatten oder seine Adresse rauskriegten? Nein, ermahnte er sich, das war verrückt. Er war sicher. Es ging ihm prima. Alles war prima.
Madison, die morgen fünf wurde und das schmale, hungrige, berückende Gesicht einer Elfe aus einem Märchen hatte, ließ plötzlich seine Hand los und warf sich auf den harten, schimmernden Boden. Er blickte auf sie hinab, als hätte er sie noch nie gesehen –ihre Augen verengten sich wehleidig oder trotzig, sie war offensichtlich reif, überreif fürs Bett –, und dann hob er den Kopf und hielt nach Natalia Ausschau.
William Wilson war vierunddreißig, ein Pizzagenie und Kleiderfreak und, jedenfalls seiner Meinung nach, ein Mann für Frauen, auch wenn die letzte – die vor Natalia – ihm erst eine Tochter geschenkt hatte, die er so sehr liebte, daß es weh tat, um sich dann in eine Superzicke zu verwandeln und ihn in den Knast zu bringen. Den Namen, den seine Mutter ihm aufgedrückt hatte – William jun., nach seinem Vater, der ein Problem ganz eigener Art war –, hatte er immer gehaßt. In der Grundschule hatte er sich noch etwas darauf eingebildet und darauf bestanden, daß man ihn William und nicht Bill oder Billy nannte, aber in der Junior High School hatte er eingesehen, wie uncool das war, und sich eine Baseballjacke gekauft, auf der in weißen Lettern »Will« gestanden hatte, aber das hatte es auch nicht gebracht. Will, William, Bill, Billy: das klang alles so gewöhnlich, so langweilig, so plebejisch, um eines seiner Lieblingswörter aus dem Geschichtsunterricht zu gebrauchen, und wenn es jemanden gab, der das Gegenteil von plebejisch war, dann ihn. Herrgott, wie viele William Wilsons mochte es in einem Land von der Größe der USA geben? Ganz zu schweigen von England. Da drüben gab es wahrscheinlich auch Tausende davon. Hunderttausende. Und dann noch all die Guillaumes und Wilhelme und Guillermos. Auf der High School nahm er den Mädchennamen seiner Mutter an – Peck –, und niemand wagte es, ihn anders zu nennen,
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